Um die Ensembles schon vor dem Festival kennenzulernen, hat die FZ sie einfach angerufen. Wie in einem Blind Date: Immer ein Redaktionsmitglied mit einem Ensemblemitglied, beide kannten sich vorher nicht. Heute: Ansgar von der FZ spricht mit Niclas und Rozhina vom Gorki Jugendclub Die Aktionist*innen.
Um die Ensembles schon vor dem Festival kennenzulernen, hat die FZ sie einfach angerufen. Wie in einem Blind Date: Immer ein Redaktionsmitglied mit einem Ensemblemitglied, beide kannten sich vorher nicht. Heute: Ansgar von der FZ spricht mit Niclas und Rozhina vom Gorki Jugendclub Die Aktionist*innen.
Ansgar: Wir kennen uns ja überhaupt nicht – vielleicht erzählt ihr einfach, wer ihr seid und wo ich euch gerade erwische?
Niclas: Ich kann anfangen, von mir aus – ich bin Niclas, ich bin grade mitten im Feiertagsmodus, hab eigentlich grade überhaupt nichts zu tun – und versuche mich grade so durch Online-Seminare zu wurschteln, lese heute vielleicht noch ein paar Texte, hab grade nicht so viel Struktur – deshalb kommt grade das Theatertreffen ganz gelegen, um mal ein paar Termine zu setzen: Irgendwas, worauf man sich mehr freuen kann als diese ständige Ungewissheit.
A: Ja, kann ich sehr nachvollziehen, ich bin auch sehr froh über die FZ und über die Teamarbeit in der Redaktion.
N: Ja, ich hoffe auch, dass die Stimmung beim Theatertreffen endlich mal ein bisschen privater wird. In den Online-Seminaren hab‘ ich überhaupt nicht mehr das Gefühl, als hätte ich mit Menschen zu tun. Durch das Digitale bin ich erstens oft total verschüchtert und zweitens kann man auch nicht mehr diese privaten Gespräche mit seinen Nachbarn führen, das ist total schrecklich und entfremdet.
Rozhina: Das kann ich ganz gut verstehen, weil ich in der letzten Zeit auch viel darüber nachgedacht habe, dass ich seit Corona angefangen hat schüchterner geworden bin, mein Selbstbewusstsein geht total unter, das ist mega scheiße.
A: Das entspricht so gar nicht meinem Klischee von Leuten, die gerne Theater spielen – ich dachte immer, da muss man gerade nicht schüchtern sein.
N: Vielleicht braucht man auch grade das Theater, um sich die Schüchternheit abzugewöhnen, weil man mit so vielen extrovertierten Leuten zusammen ist, viel spielt. Wenn das wegbricht, ist man so total auf sich selbst zurückgeworfen.
R: Vor allem haben wir auch gar kein Publikum – wir können unser Selbstbewusstsein gar nicht mehr auf die Probe stellen. Das ist eine ganz neue Situation und man weiß nicht, was man damit machen soll.
A: Aber ihr habt ja trotzdem was damit gemacht, oder? Ihr habt ein Stück am Gorki mit den Aktionist*innen erarbeitet – worum geht es denn da und wie seid ihr dazu gekommen?
N: Eigentlich geht es ziemlich genau um das Gefühl, um das wir schon kreisen, weil wir in dem Stück alle in unseren vier Wänden eingesperrt sind. Das verhandelt genau diese Isoliertheit. Das ist ganz zufällig entstanden, eigentlich wollten wir uns mit unseren Wohnungen beschäftigen, aber da uns dann allen diese Corona-Krise in den Gedanken gesessen hat, kam dann doch dieses Bild von Einsamkeit auf die Bühne. Das Stück trieft so von Corona-Empfindungen, obwohl das gar nicht beabsichtigt war.
A: War es auch eine Gegenbewegung, in dieser sehr unkörperlichen Zeit eine Tanzperformance zu erarbeiten?
R: Wir wollten in der Zeit, in der man so wenig körperlich ist, das trotzdem lebendig halten. Das war nicht als Gegenbewegung gedacht, aber trotzdem war das in uns und wir haben die Grenzen ausprobiert.
A: Ich kriege auch nicht mehr so richtig aus meinem Kopf raus, dass körperliche Nähe potentiell gefährlich sein könnte, mit den ganzen Aerosolen und so.
N: Weißt du noch als Amadeus ankam, eine Mitspielerin von uns, die immer ganz, ganz körperlich ist und immer ihre Liebe ausdrücken will? Sie kam auf uns zugerannt und hat uns umarmt. Das ist eigentlich so ein schöner Moment, weil wir uns so lange vermisst haben. Aber alle haben wir trotzdem kurz diesen Schreck bekommen: Das dürfen wir jetzt nicht! Und das war hart zu beobachten, dass wir innerlich auf diese Liebe von unserer Mitspielerin reagiert haben mit „nein, geh weg“ – weißt du noch, Rozhina?
R: Ja, daran kann ich mich noch ganz gut erinnern. Vor allem während unserer Probenphase, als Amadeus uns dann nicht umarmt hat, hat richtig was gefehlt. Das hat sich mir sehr eingeprägt. Das war alles so falsch. Aber worüber ich auch noch nachgedacht habe: Was mich interessiert hat, waren verschiedene körperliche Grenzen bei verschiedenen Personen. Bei dir, Niclas, war immer sehr viel Abstand, wir haben uns nichtmal eine Faust gegeben. Da musste man immer sehr aufpassen.
A: Um Grenzen geht es ja auch in eurem Stück, oder? – Ha, das hab‘ ich jetzt richtig sauber hinmoderiert. Euer Stück heißt ja 4 WËnde – ich fand spannend, dass ihr euch so auf diese Beschränkung eingelassen habt. Andererseits wollen ja auch grade viele Leute Sachen sehen, die keine Beschränkungen thematisieren, sondern einen Ausweg bieten.
N: Wenn wir etwas verändern wollen, sowohl innerlich als auch äußerlich oder politisch, müssen wir trotzdem aus der jetzigen Situation heraus denken – und nicht einfach eine Utopie malen, in der alles vergessen ist. Sondern wir müssen aus unseren Wänden ausbrechen und uns überlegen, wie das möglich ist. Deshalb auch das Wortspiel mit WËnde: Das kann die Wende sein, an der sich etwas vielleicht zum Guten wendet oder auf jeden Fall verändert. Das muss aber aus den Wänden, die um uns herum sind, entstehen.
… oder wie war das für dich, Rozhina?
R: Du hast das jetzt schon so ausführlich erzählt (lacht).
Wir haben ja auch mit unseren eigenen vier Wänden geprobt. Wir hatten auch in der Probe also sozusagen unser eigenes Zimmer auf der Bühne. Wir konnten die Zimmer auch irgendwann nicht mehr tauschen, das hat sich ganz falsch angefühlt.
N: Stimmt, wie privat man sich so einen Raum machen kann, obwohl er eigentlich nur ein schwarzer Fleck auf einer Bühne ist – so absurd. Es ist eigentlich nur ein Stück Welt, aber ich war trotzdem so: Nein, das ist wirklich meins, das bin wirklich ich, diese Wohnung. Eigentlich ist es total random.
R: Es hat auch mit der Zeit wie eine Wohnung ausgesehen, wenn wir uns Essen liefern lassen haben und unsere Hefter rumlagen und so.
A: Jetzt bin ich sehr gespannt auf euer Stück! Und auch, ob wir uns in der digitalen Festival-Welt wiedersehen. Bis bald!