Die kleine Welt verändern

Um die Ensembles schon vor dem Festival kennenzulernen, hat die FZ sie einfach angerufen. Wie in einem Blind Date: Immer ein Redaktionsmitglied mit einem Ensemblemitglied, beide kannten sich vorher nicht. Heute: Ansgar von der FZ spricht mit Jeremias von den ELEVEN aus Niesky.

Um die Ensembles schon vor dem Festival kennenzulernen, hat die FZ sie einfach angerufen. Wie in einem Blind Date: Immer ein Redaktionsmitglied mit einem Ensemblemitglied, beide kannten sich vorher nicht. Heute: Ansgar von der FZ spricht mit Niclas und Rozhina vom Gorki Jugendclub Die Aktionist*innen.

Verwirrung und Gelächter am anderen Ende der Leitung.

Ansgar: Hallo, mit wem rede ich denn grade alles?

Jeremias: Ehm, grade eben nur mit mir, aber ich kann Sie mal eben auf laut schalten, dann reden Sie noch mit fünf anderen Leuten … oder nee, die wollen nicht.

A: Die wollen nicht, okay. Du kannst mich erstens duzen und zweitens: Wo seid ihr denn gerade? Was ist da los, wie muss ich mir die Situation vorstellen?

J: Also wir sind grade in einem Ersatz-Proberaum, das ist vor Corona ein Jugendclub gewesen. Wir mussten einen Ausweichplatz in Niesky suchen, weil wir in unserem eigentlichen Probenraum in unserer Schule nicht proben können. Dort ist die Technik zu schlecht und es ist grade Abizeit. Deshalb sind wir in diesem Jugendclub, der auf Anti-Drogen-Discos ausgelegt war und gucken, ob wir hier unser Stück auf die Bühne kriegen.

A: Also bin ich grade mitten in die Probe geplatzt?

J: Nee, wir sind so ziemlich am Ende, ich hab das Telefonat extra an den Schluss gelegt.

A: Was habt ihr denn dann heute schon so gemacht?

J: Naja, heute haben wir die letzten fünf, sechs Szenen durchgeprobt und nochmal ein paar Texte gekürzt und die neue Szene, die wir entwickelt haben, geprobt.

A: Was ist denn das für eine neue Szene?

J: Das ist immer recht kurios. Wir haben das Stück ja jetzt schon ein paarmal aufgeführt und es ist echt niemals gleich, es wird immer nochmal was geändert. Wir haben jetzt noch eine Handwasch-Choreo entwickelt, die soll ans Hände desinfizieren erinnern. Das gehen wir so durch und dann geht das über in Street-Dance, und dann battlen sich noch ein paar hier vorne. Sowas ist typisch für unsere Gruppe, dass immer noch was Neues dazukommt.

A: Ich habe mir schon den Beschreibungstext für euer Stück durchgelesen und war ein bisschen überfordert – da ist ja wahnsinnig viel los bei euch: Ihr habt eine Tanzchoreo, viel mit Kostümen, verschiedene Arten von Kamera … Kannst du mir kurz erzählen, was mich erwartet in eurem Stück?

J: Ich würde Ihnen das gerne genauer beschreiben, aber dadurch, dass wir es jetzt aufnehmen und als Film einreichen, wird das alles nochmal ein Stück anders. Im Grunde genommen soll unsere Bühne …

(Er beschreibt das Bühnenbild. Ich bin lost. Es gibt Stellwände, Tische, abstrakte Kreidezeichnungen, aber das wird auch nochmal anders. Oder so ähnlich.)

… es ist quasi ein leeres Klassenzimmer und dann kommen Kreaturen …

(Ich glaube, das muss ich sehen, um durchzublicken.)

… generell wird noch viel umstrukturiert, der Raum ist auch kleiner als unser eigentlicher Raum. Das gehen wir Freitag nochmal durch und Samstag wird dann aufgezeichnet, also ist alles ein bisschen sportlich zurzeit.

A: Ja … ja, hm. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was mich erwartet. Aber ist ja auch gut, wenn wir euer Stück ein bisschen anteasern und den Leuten Lust machen – und ich hab jetzt sehr Lust darauf, zu sehen, was ihr macht.

J: Nice.

A: Ihr habt ja auch viel selbst recherchiert, hab ich gelesen – hast du denn im inhaltlichen Vorbereitungsprozess etwas erfahren, was dich überrascht hat?

J: Wir sind ja im Stück die letzten Menschen und senden die letzten Nachrichten an das All – das, was von der Menschheit übrigbleibt. Natürlich hab ich dabei neue Sachen gelernt – mir ist zum Beispiel nochmal viel bewusster geworden, wie viel Umweltverschmutzung es gibt. Und die letzten Worte an irgendwen zu verschicken – das ist so krass, es gibt so unterschiedliche Auffassungen in unserer Gruppe: Entweder das Ende der Welt ist positiv oder es ist negativ. Wir haben auch gläubige Leute im Ensemble, die daran glauben, dass Gott uns retten kann, und Atheisten. Wie kriegt man diesen Zwiespalt in das Stück? Da hab ich noch dazugelernt, wie man mit anderen Meinungen umgehen kann, dass trotzdem ein gutes Miteinander bestehen bleibt.

A: Bist du denn eher bei den Pessimisten oder eher bei den Optimisten?

J: Ähm … ich bin eher der, der sagt, es ist offen – das Ende der Welt ist noch nicht da. Es ist auch nicht so, dass wir Pessimisten oder Optimisten spielen, sondern wir haben unseren Text und spielen unsere Szenen – und was die Menschen daraus machen, ist ihre Sache. Ich habe einen Text am Ende des Stücks, der aussagt, dass ich sterbe. Aber ich gehe da jetzt nicht mit einer negativen Einstellung ran. Und es kommt dann auf den Zuschauer an, ob er jetzt sagt, das ist negativ oder positiv.

A: Hattet ihr denn schon so richtig Publikumsreaktionen?

J: Ja.

A: Also durftet ihr so richtig Aufführungen machen vor Publikum? Krass.

J: Ja, das war noch vor Corona.

A: Ah, dann ist das Stück ja schon so richtig lange auf der Bühne.

J: Ja, wir haben uns schon letztes Jahr beworben, da wurde das ttj ja abgesagt. Aber seither konnte ja nicht so richtig ein neues Stück entstehen, deshalb durften wir uns nochmal mit diesem bewerben.

A: Ihr wart ja schon vor ein paar Jahren auf dem TTJ, oder? Mit dem Stück über Gilgamesch?

J: Ja, vor drei Jahren mit dem „Phantom von Uruk“.

A: Und gibt es was, an das du dich von deinem letzten TTJ erinnerst, was du auf jeden Fall dieses Jahr wieder erleben willst?

J: Die Workshops waren mega cool. Ich hatte einen Workshop zu Rauminszenierung, da sind wir durch die Straßen gelaufen, haben Straßenschilder geklaut und die aufgehängt. (lacht) Und dann gab es Hängematten im Garten und die Bar …

A: Und das Essen war auch immer wahnsinnig gut, oder?

J: Oh, ja.

A: Ich mache mir schon bisschen Sorgen, ich muss mir dieses Jahr selbst Essen kochen. Vielleicht esse ich dann immer nur Nudeln, weil einfach keine Zeit ist, richtig zu kochen.

J: Es könnte ja noch Koch-Workshops geben.

A: Ja, find ich gut. Ich glaube, ich habe auch einiges an Material für den Text. Hast du denn noch was, das du loswerden willst?

J: Ja, vielleicht noch eins, und zwar hatten Sie mich schon in der Mail gefragt, ob ein Theaterstück die Welt verändern kann … also vielleicht nicht die ganze Welt, aber an einigen Stellen schon. Wir haben in unserem Stück eine Szene, da stehen wir als Uhr und im Text geht es darum, in jedem Klassenzimmer eine Uhr anzuschaffen. Und nach diesem Theaterstück wurde in jedem Klassenzimmer an unserer Schule eine Uhr angebracht. Vielleicht nicht nur wegen unserem Stück, aber das war vielleicht eine Anregung.

A: Ach, lustig. Also ein bisschen die Welt verändert habt ihr schon.

J: Ja, also … die kleine.

A: Dann vielen Dank dir!

(Ich stoppe die Aufnahme. Jeremias sagt, ich könne ihm gerne schreiben, wenn ich noch weitere Fragen hätte. Ich sage „ja, mache ich, aber nur, wenn du aufhörst, mich zu siezen.“ „Okay“, sagt Jeremias, „na gut“.)