Niklas Wetzel hat so viel zu sagen, dass er den Rahmen eines Textinterviews schon mit einer einzigen Anekdote über Eierkuchen in Niederfrohna sprengt. Er war selbst mehrfach mit dem Jugendclub „KarateMilchTiger“ vom Schauspielhaus Chemnitz beim TTJ. Seit 2019 ist er Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin.
Und weil das Gespräch mit ihm genauso überbordend ist wie Niklas immer ist, gibt es hier eine seriöse Textversion, in der ein paar der Themen aus dem Gespräch sauber aufgeschrieben sind. Die wilde, ausufernde Version mit allen Soundeffekten, die Niklas nebenbei macht und Tips, wie man sich vor der Probe drückt, aber trotzdem gute Kleist-Aufführungen hinbekommt, hört ihr im Podcast
FZ: Sag mir doch mal, wie du vorgestellt werden möchtest.
Niklas: Ähm … ich … (lacht) Das ist eine sehr seltsame Frage, aber die gefällt mir. Ich muss einmal kurz drüber nachdenken. (Pause) Ich weiß nicht … ich bin nett? Und 25?
FZ: Haha, damit haben wir die Leute ja schon gut abgeholt: Niklas ist nett und 25 – was macht er auf dem TTJ? Keine Ahnung! Aber sehr, sehr nett ist er.
Niklas: (lacht) Vielleicht ein sehr zu viel.
FZ: Relativ nett.
Niklas: Aber ich kann ja auch erzählen was ich mache, oder?
FZ: Vielleicht fangen wir anders an …
Niklas: (lacht) Sorry, das war einfach eine sehr schöne Frage – eine, die mich bis in die tiefsten Tiefen meiner Unsicherheit verfolgt hat.
FZ: Also, ich sitze jetzt hier und habe Niklas Wetzel zu einem Tee eingeladen. Niklas war zweimal beim TTJ und hat dann an der Otto Falckenberg Schule Schauspiel studiert …
Niklas: … in München, genau …
FZ: … und ist inzwischen am Deutschen Theater in Berlin. Ein sehr schöner Anlass, mit dir jetzt zu sprechen ist, dass du vor Jahren beim TTJ angefangen hast - und jetzt vor ein paar Tagen beim „großen“ Theatertreffen mit einer “Zauberberg”-Inszenierung eingeladen warst. Bist du jetzt erwachsen?
Niklas: Das hab ich mich vor Kurzem auch gefragt. Wenn man so durch die Straße läuft und die Menschen sieht, dann denkt man ja schon immer „erwachsen, erwachsen, Kind, Kind, jugendlich, erwachsen“ und ich frage mich immer, was die Leute von einem selber denken. Wenn ich mir den Zeitraum anschaue von 14, als ich das erste Mal beim TTJ war, bis jetzt mit 25, kommt mir dieser Zeitraum unheimlich lang vor. Da ist unendlich viel passiert. Trotzdem fühlt es sich an, als wäre das ein sehr logischer Weg gewesen, der mich da ausgespuckt hat, wo ich jetzt stehe. Ich sehe – außer, dass ich an sehr vielen Dinge gewachsen bin – aber gar keinen großen Unterschied zu früher. Deshalb glaube ich nicht, dass ich erwachsen bin, nein.
FZ: Unterscheidet sich denn das konkrete Arbeiten als Schauspieler? Du bist am Deutschen Theater, machst zahlreiche Produktionen im Jahr, das ist richtig dein Job. Ist das nicht anders, als wenn man mit dem Jugendclub aufs TTJ fährt, alle zusammen haben das Stück erarbeitet und sind total aufgeregt, dass man jetzt nach Berlin fährt?
Niklas: Vom Spielen her, mein Job, da hat sich nichts geändert. Ich mache das immer noch genau wie früher: Ich biete einfach sehr, sehr viel Zeug an, was in ganz verschiedene Richtungen führt, und die Leute, die mit mir arbeiten, sagen dann „mmmh, ja, find ich gut, weiß grade noch nicht genau warum. Vielleicht fliegt es auch wieder raus. Aber du kannst anderthalb Stunden diese Toilette auf der Bühne putzen, mach das erstmal.“
FZ: Ich habe immer das Gefühl, dass man auf diesen Jugendfestivals in sehr kurzer Zeit sehr viel lernt, gerade, wenn man die jüngste Person auf dem Festival ist. Diese Erlebnisdichte lässt sich nur schwer wiederholen, finde ich. Wie erhält man sich denn diese Intensität und überbordende Spielfreude, wenn man dann Profi ist?
Niklas: Das Theatertreffen der Jugend war für mich so einschneidend, dass ich immer wieder mit Leuten drüber rede – auch die Workshops: In meinem ersten Improvisationsworkshop bin ich komplett ausgerastet. Es gibt davon Fotos, auf denen man alle sieht beim Improvisieren. Und ich hatte so ein gestreiftes rotes Shirt an und bin auf allen Fotos nur als verschwommener Blitz drauf, weil ich die ganze Zeit am machen war. Der Workshopleiter musste dann versuchen, mich zu bändigen. Da war immer dieses große Bedürfnis nach Veräußerung: Diese Ideen, die mir so im Kopf rumschweben, für die anderen greifbar zu machen. Das ist schon immer da bei mir. Und jetzt bin ich in einem „professionellen“ … (er malt Anführungsstriche in die Luft)
FZ: Warum denn die Anführungsstriche? Was könnte denn professioneller sein als das, was du jetzt machst?
Niklas: Ich muss sagen, es ist immer eine sehr sanfte, in sich dramaturgisch sinnvolle Steigung gewesen bis zu dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Ich hatte nie das Gefühl, „vorher hab ich Jugendtheater gemacht, aber JETZT geht hier alles Schlag auf Schlag, alle kommen pünktlich, es gibt Pausen“ - das ist für mich professionell. Aber jetzt bei den Proben zu Michael Kohlhaas am DT… oh Gott, das dürfen die jetzt gar nicht hören. Aber da hatte ich jeden Tag Angst, zu spät zu kommen, es ist ja auch erst meine zweite Spielzeit.
Dann bin ich mal zehn Minuten zu spät, denke mir schon irgendwelche Ausreden aus, aber als ich reinkomme, fehlen noch drei andere Leute. Und der Regisseur sitzt da, alle trinken Kaffee und reden. Und keiner fragt, warum ich zu spät bin. Dieser lockere Geist herrscht, aber wir kommen trotzdem voran. Und das ist im Grunde nicht anders als im Jugendclub: Da wird doch auch die ganze Zeit gemacht, was die Leute wollen, und dann kriegt man es trotzdem hin, gemeinsam zu spielen und sich einem Thema zu widmen. Letzten Endes werde ich dafür bezahlt, Quatsch zu machen. Ohne das negativ oder polemisch zu meinen. Aber das habe ich durch das Schauspielstudium und das TTJ gelernt: Sehr viele Ideen, Möglichkeiten, Assoziationen, die mir so durch den Äther fliegend begegnen, das kommt einfach, was auch immer. Damit müssen dann die Menschen, mit denen ich spiele, umgehen. Und ich auch damit, was zurückkommt. Aber im Grunde habe ich immer das Gefühl, Quatsch zu machen.
FZ: Aber ich vermute, du hast auf der Schauspielschule auch das Handwerk gelernt, oder?
Niklas: Ich glaube, das wichtigste für Menschen, die noch nicht so oft auf einer Bühne standen ist, den Faktor „ich stehe jetzt auf einer Bühne“ nicht dauernd an die Schädeldecke hämmern zu lassen. Sobald du auf eine Bühne gehst und dir jemand zuschaut, wird alles komisch. Du läufst komisch, du redest komisch. Was ist das, was uns da so hindert? Hauptsächlich der Druck, nicht zu genügen. In dem Studium, das ich hatte, lernt man vor allem Fantasie und Persönlichkeit. Du bist du. So, wie du bist, nehmen wir dich. Handwerk ist es gar nicht so sehr. Wir schauen, was du erzählst und wie sich die Dinge verändern dadurch, dass du sie erzählst. Nicht dass du sie gut erzählst oder besonders präsenz…voll erzählst. Sondern dadurch, dass du sie verhandelst.
FZ: Zum Abschluss: Was rätst du denn Leuten, denen sich jetzt grade auch so eine Tür öffnet wie dir bei deinem ersten TTJ? Vielleicht sind sie noch unsicher, ob sie da reinwollen, oder wollen unbedingt rein in die Theaterwelt. Hast du denn einen Ratschlag, was man mit dieser Möglichkeit macht?
Niklas: Was mir immer sehr geholfen hat, ist, den Kopf nicht zu verlieren und nicht aufzugeben.
FZ: Warum aufgeben?
Niklas: Weil es in dem Beruf sehr schnell passieren kann, eben weil es der eigene Körper ist, der stattfindet, die ganze Zeit … dass man nicht genügt. Ob man das selbst denkt oder Leute, die von außen draufschauen, sei mal dahingestellt. Meistens denkt man das selbst, würde ich behaupten. Es ist immer genug, dass ein Körper dasteht im Raum. Das ist ein Mensch, der dasteht. Das ist schon was. Das ist nicht nichts. Auf keinen Fall nichts.
Ich glaube, wichtig ist, sich selbst nie vorzumachen, dass man nur auf dem richtigen Weg ist, wenn man ganz viel Lob bekommt und das Gefühl hat, etwas sehr gut gemacht zu haben. Sondern sich immer wieder zu versichern, warum man das eigentlich macht. Und bei mir ist der Hauptgrund: Ich mache es sehr, sehr, sehr, sehr gerne.
FZ: Vielen Dank dir Niklas!