FZ-Redakteurin Tabea unterhält sich mit der Bühnenpoetin Tanasgol Sabbagh, die als Workshopleiterin auf dem TTJ dabei ist, über die Wichtigkeit, nichts Googlebares zu vermitteln und über die Frage, ob Schreiben aus dem Nichts entstehen kann.
Ich bin gerade nicht erreichbar, spricht Tanasgols Stimme von ihrem Anrufbeantworter. Wenige Sekunden später ruft sie zurück. Manchmal passiert uns das auch im Gespräch: Wir erreichen die Frage oder die Antwort der anderen Person nicht ganz, um dann doch wieder Verbundenheit im Denken zu finden. In manchen Antworten dreht Tanasgol Spiralen, manchmal um einen Punkt herum, manchmal zu einem neuen Punkt hin. Ab und an höre ich sie rauchend ausatmen, dazwischen habe ich ihre Stimme warm und unmittelbar im Ohr. Mit ihr zu telefonieren fühlt sich an, wie nach einem langen Tag mit der Mitbewohnerin bis tief in die Nacht zu quatschen.
Tanasgol ist seit über zehn Jahren Bühnenpoetin kennt das Suchen nach Methoden, um das eigene Schreiben in Fluss zu bringen oder zu verbessern. Im letzten Jahr, sagt sie, hat sie gelernt, Anfragen für Aufträge, die sie sich noch nicht zutraut, anzunehmen und in sie hineinzuwachsen. Es ist ihr wichtig, Kontexte aufzusuchen, in denen es Neues auszuprobieren gibt. Die Möglichkeit dazu möchte sie auch in ihrem Spoken-Word-Workshop auf dem diesjährigen TTJ herstellen.
Mehr, als Antworten zu formulieren, soll es um das Fragen gehen. Was machen mein Körper und mein Mund mit einem Text? Was macht der Text mit mir selbst? Wie funktioniert das Schreiben auf sich selbst hin, wer bin ich in einem Raum?
Aus sich raus
Um diese Fragen zu entwickeln und ihre Bedeutung zu verstehen, leitet sie verschiedene Übungen an. Zum Beispiel beschäftigen sich die Teilnehmenden mit dem Fragebogen von Max Frisch, sehen der Poetin Fatima Moumouni dabei zu, wie sie sich zu einer Kunstausstellung verortet (https://www.youtube.com/watch?v=gFMshco_Q3w) und lesen weitere Texte. Es geht darum, Linien zwischen sich selbst und den Objekten des Raumes zu ziehen und diese gleich wieder zu verwischen. Es geht um die Reflektion der eigenen Perspektive, auch im Austausch mit anderen. Die Teilnehmenden sollten „aus sich raus und auf sich drauf“ gucken lernen.
Immer wieder tauchten im Workshop die Fragen „Wer bin ich und was mach ich hier“ auf. Eine Frage, die auch Tanasgol in vielen Variationen in ihren Texten verhandelt. Besonders präsent war im Workshop auch die Frage nach Nähe, die über eine Zoom-Kachel vermittelt wird. Die Frage, was die Absenz des Körpers mit der Interaktion macht.
Gleichzeitig verdeutlicht sie, dass das gelingende Schreiben an dieser Stelle nicht aufhört. Genauso wichtig wie die eigenen Gedanken ist die Form, in die wir sie bringen. Tanasgol hat den Anspruch an sich, nichts zu vermitteln, das die Teilnehmenden auch googlen können. Stilmittel und Metrik seien ihr viel unwichtiger als die sinnliche Texterfahrung. Dazu gehört für sie eine Selbstanalyse: Was macht es mit mir, wenn ein Satz immer wieder wiederholt wird? Wie fühlt sich das an? Als Workshopleiterin wechselt sie zwischen festen Form- oder Themenvorgaben und freiem, teils automatischem Schreiben. Es ist ihr wichtig, dass sich ein Gefühl für die ganz eigene Art, zu schreiben und auf die Welt zu blicken, entwickeln kann.
Ich frage sie, ob es einen Unterschied macht, ob ein gesprochener Text von einem selbst geschrieben wurde, oder nicht. Sie erwidert, dass Schauspieler*innen ja auch eigene Erfahrungen in geschriebenen Texten finden und performen. Also geht es nur um die Frage, ob ich eine Verbundenheit zu meinen Zeilen entwickelt habe? Nein, sagt sie, das auch nicht ganz. Ich merke, dass ich mich davon lösen muss, Tanasgol festlegen zu wollen und finde das schön.
Ein gemeinsamer Tanz
Ein Text, der im Workshop entstanden ist, ahmt sprachlich einen Walzer nach. Tanasgol beschreibt so auch ihre Workshoparbeit – gemeinsam tanzen die Schreibenden und Denkenden vor, zur Seite und zurück – und doch, sagt sie, gelinge es dabei, einander näher zu kommen. Näher kommen die Teilnehmer*innen nicht nur einander und ihrem Schreiben, sondern auch einem künstlerischen Produkt. Am Ende sollen alle einen Poetry Clip geschaffen haben. Dieser soll die wichtige Erkenntnis verkörpern, dass kein Text aus dem Nichts, schon gar nicht aus dem Genius entsteht. Vielmehr sei es das Zusammenfügenvon Eindrücken und Gedanken. Dazu sei eine Öffnung und Sensibilisierung für die eigene Interaktion mit der Welt nötig.
Weil das etwas ist, das Tanasgol hervorragend beherrscht (wer sich das anschauen möchte, kann das zum Beispiel mit diesem Text tun: https://youtu.be/IXM0GT3K5Ys), frage ich sie noch, was sie selbst besonders öffnet. Das sei phasenabhängig. Im Moment liest sie jeden Morgen ein paar Seiten, macht sich Notizen und beginnt dann, zu schreiben. Es gehe darum, sich Aktivierungsprozesse zuzugestehen.
Am Ende des Gesprächs sagt sie: „Ich klinge gerade unsicher, meine das aber nicht so“. Ihr falle in letzter Zeit auf, wie oft sie in Unterhaltungen abschweife. Bei mir denke ich, dass das programmatisch für die besprochenen Inhalte ist. Tanasgol Sabbagh, eine Künstlerin, die mit Worten Walzer tanzt, aber dabei die Führung behält, eine, die Aktivierungsprozesse schätzt und ganz wichtig: bei anderen auszulösen vermag.