Die richtige Dosis Emojionen

FZ-Redakteurin Miedya versucht zwischen kohlkopfgroßen Smileys ihre eigenen Beobachtungen zu entschlüsselt.

Applaus, Applaus!

Miedya

Es ist schon erstaunlich. Da entscheidet sich ein Verbund Schüler*innen, deren Aufwachsen noch stärker von digitaler Alltagskultur geprägt sein muss als meines das eh schon war, ausgerechnet dafür! Emojis, die cartoonesken Cheerleader, diese Messenger-Maskottchen, quirlige Piktogramme des Textings, sollen Gefühle, Untertöne, Kontexte ergänzen oder überhaupt erst schaffen. Darstellendes Spiel, wie es auf Theaterbühnen passiert, hat oft ähnliche Ambitionen. Der Entschluss, mit Mitteln des Digitalen dieses sehr alte Format ‚Theaterspiel‘ umzusetzen, überrascht mich einerseits, andererseits scheint er komplett offensichtlich. Man entscheidet sich dafür, Emojis raus aus dem Chatverlauf und rauf auf die Bühne zu bringen. Eine Bühne, vor der Livepublikum sein soll. Es folgen: eine Pandemie, Kontaktbeschränkungen, allseits die Erfordernis, sich so weit wie möglich ins Digitale zurückzuziehen.

Ich sehe also einen digitalen Livestream, ich sehe eine digitale Aufzeichnung. Ich sehe Zeichen, sonst wenige Milimeter klein angezeigt, kohlkopfgroß auf Pappschildern, gehalten von realen Menschenhänden. Nervöse Hände. Beobachtung 1: Egal wie smilend das Smiley-Gesicht ist, das du hochhältst, was beim Publikum auch ankommt ist, wie es hochgehalten wird.

Emojiland lässt sich grob in zwei Teile brechen. Zuerst eine Rateshow, in der anhand von Emojis Sätze erraten werden sollen. Dann eine Emoji-Umsetzung des Songs “Haus am See” von Peter Fox. Der erste Teil wurde von einigen Redaktionsmitgliedern als irritierend und bisweilen anstrengend wahrgenommen. Zu sehr wie Schule sei es, das stete Fordern einer eindeutig korrekten Lösung, das Aufstellen von Gleichungen, die nicht frei zu interpretieren sind, sondern falsch oder richtig gelöst werden können. Zugegeben, ich war auch irritiert zu Beginn und doch stark unterhalten. Der Kritik der Verschultheit möchte ich zwei Beobachtungen entgegensetzen.

Ein Experiment mit Kommunikation

Beobachtung eins: Welch zum Teil großartiger Unsinn war es, den man aus den Emojireihen herausbekommen sollte! Ein Mann wird zum Abgas-Zombie unter dem Titel ‚Ein Mann lacht‘ ? Junge, Auge, Mädchen = der Junge schaut das Mädchen an, zack, nächste Reihe, VAMPIRSTORY, zack, nächste Reihe, irgendwas mit Spritze, das muss doch was mit Impfen zu tun haben, ah, ne, “das Blut des Mädchens ist sehr stark”. Dafür mein aufrichtiges: LOL.

Beobachtung zwei: Ich fühle mich angenehm vorgeführt. Mir wird bewusst: Emojis sind natürlich nie ganz eindeutig. Eine Uhr kann für eine Uhr stehen, aber auch für Zeit, Verspätung, Termin. Ein Auto kann für eine Fahrt stehen oder eben einfach für Auto. Ein Zombie bedeutet Zombie - oder steht er nicht doch viel eher für unangenehme alte Menschen, die denken, dass ‚Smombie‘ ernsthaft Jugendsprache ist? Oder für einen selbst, am Morgen nach dem Weißweinabend inkl. wirr emojionaler Nachricht, die man dem Crush getextet hat? Während der Quizshow wird mir klar: Emojis sollen Sprache vereinfachen, manchmal machen sie es einem aber auch verdammt schwer. Für mich ist Emojiland kein Stück über Zwinkersmiley, Schulterzuckperson und Daumenhoch, sondern ein Experiment mit Kommunikation.

Wünschenswert hätte ich gefunden, wenn das Quizshowformat konsistenter durchgezogen worden wäre. Ich mag die Optik, sie scheint aus der Zeit gefallen. Quizshows stehen wie kaum etwas anderes für die große Zeit des analogen Fernsehens. Eine Zeit, die die Darsteller*innen kaum mitbekommen haben können und das merke ich ihnen an. Da wird um Hilfe gebeten bei der Lösung, es wird ganz freundlich dazu aufgerufen, Lösungssätze vorzuschlagen, auch wenn sie falsch sind. Bei einer Quizshow erwarte ich eigentlich, Herausforderung zu fühlen, ein wenig geärgert zu werden und vor allem: nicht zu viel Menschlichkeit in den Showmaster*innen, sondern Glamour; eine Art Zauber, um den die glänzendsten Fernsehjahre so bemüht waren mit ihren Strasskleidern, roten Fliegen, dicken Vorhängen, Blinklichtern und Jingles.

Glamour in Jeans und Sneakern

Der zweite Teil von “Emojiland” ist näher am ursprünglichen Vorhaben der Gruppe dran: Eine Aufnahme der eigentlich geplanten Übersetzung von Songs in Emojis. Überraschenderweise fühlte ich mich dem Geschehen der Aufnahme viel verbundener als der Livesequenz mit Publikumsinteraktion. Das Ensemble, wieder ausgestattet mit Emoji-Schildern, erzählte mir eine Geschichte vom Haus am See. Genauer: mir wurde der Songtext zu Peter Fox‘ ‚Haus am See‘ in Bildsprache übersetzt. Nicht die klassische Bildsprache des Theaters, sondern die alltägliche Bildsprache meiner Chats. Die Choreographie war fließend - und wenn man gerade von den Schildern abschweifte, dann war da individuelle Spielfreude in den Gesichtern zu sehen, frei von Vorgaben, die einem eine klassische Figurenrolle machen könnte. Das mit der Figuration übernehmen ja dankenswerterweise die Emojis. Das habe ich selten gesehen und ist wahrscheinlich ein Grund für die schwer in Worte zu fassende Sentimentalität, Ergriffenheit oder auch, im besten Sinne, Rührseligkeit, die sich in mir und anderen Redakteur*innen plötzlich einstellte. Ein ‘Hier’ im Songtext wird zur schildgewordenen Deutschlandflagge, ‘Hundert Enkel’ zu einem 100-Schild, auf das ein Schild mit Mann und zwei Kindern folgt. Während der Performance wird mir klar: Dieser Text kann mehr sein als sommerlicher Dudelfunkpop, er kann die warm-weiche Erzählung einer Umarmung sein, von Familie, Freund*innen, der Welt oder zumindest dem eigenen kleinen Mikrokosmos. Zum Schluss sitze ich ganz entzückt da – endlich, Zauber!, ein Glamour, der auf dem Pausenhof in Jeans und Sneakern vorbeikommt – und bin irgendwie friedlich. Orange. Häuschen. Peacezeichen.

3. und letzte Beobachtung: Egal wie problematisch die Flagge manchmal ist, unter der du geboren bist & begraben wirst, was ankommt, vielleicht gar alles worauf es ankommt, ist wie sie hochgehalten wird.