Sowohl in Theaterkritiken als auch hier beim TTJ fällt oft der Begriff Spielfreude, z.B. in den Laudationes der Jury. FZ-Redakteurin Jannika fragt sich, was dieser Begriff für sie bedeutet und wieso sie ihn mit der Installation Dieses Blicken III verbindet.
Applaus, Applaus!
Inmitten des TTJ 2021 sticht Dieses Blicken III für mich aus mehreren Gründen heraus: Es ist mit seinen 22 Minuten das kürzeste Stück, weshalb es über einige Festivaltage verteilt mehrmals täglich läuft. So kann man sich selbst aussuchen, wann und wie oft man es sehen möchte. Zudem ist das Einbetten ins Gather-Universum sehr gut gelungen: die Installation ist offen begehbar, mein Avatar befindet sich in einer Art Zelt. Sobald der Stream beginnt, bekomme ich ein wohliges Höhlengefühl. Verglichen zur aufgeregten Stimmung, die bei den Stücken abends im Bühnenuniversum aufkommt, ist es ruhig und weniger Avatare stehen um mich herum. Ich kann mich zurücklehnen und das Stück auf mich wirken lassen, meine volle Konzentration ist in diesen 22 Minuten bei den Spielenden. Und die spielen. Mit der Leinwand, mit ihren Körpern, mit ihren Wörtern, mit mir als Zuschauerin.
In der ersten Hälfte der Installation werden viele Fragen gestellt: Was ist Kunst für dich? Wenn dein Körper dir alles erlauben würde, was würdest du tun? Warum weinst du so oft? Warum weinst du nicht so oft? Im zweiten Teil werden diese Fragen beantwortet, auch indem Performer*innen per Greenscreen zur Ballerina werden oder die lang ersehnte Reise antreten. Sie werden auf der Leinwand Stück für Stück sichtbarer, je mehr Fragen sie sich stellen und beantworten. Ich lasse mich darauf ein, spiele mit, überlege mir meine eigenen Antworten und werde prompt angesteckt von so viel Spielfreude. Hach, hätte ich doch bloß einen Greenscreen zuhause. Das ist für mich der bezeichnendste Aspekt der Spielfreude: Sie ist spürbar. Sie lässt sich übertragen. Spielfreude hat nichts mit theatralen Fähigkeiten oder Kompetenzen zu tun, sie ist nicht erlernbar. Und trotzdem ist sie für mich die Grundlage eines jeden Stücks. Denn sie befähigt den*die Spielende*n dazu, sich weiter auszuprobieren. Sie ist die Neugier an der Ausdrucksform Theater, die Freiheit, sich auf einer Bühne (oder eben Leinwand) neu zu entdecken.
Als einer der Spielenden erzählt, wie gern er mal auf ein Metallica-Konzert gehen würde und dann tanzend auf der Leinwand erscheint, möchte ich am liebsten durch meinen Laptop zu ihm in den Greenscreen hüpfen und mittanzen. Stattdessen zaubert es mir ein breites Lächeln ins Gesicht – das passiert während des Stückes häufiger. Im Vorfeld des TTJ habe ich mit Bella aus dem Ensemble für das Format FZ ruft an ein Interview geführt. Bella erzählte, dass ihr die Lebens- und Spielfreude, die in der Gruppe herrschte, während der gemeinsamen Probenzeit viel Kraft und Energie gab. Nachdem ich die Installation nun selbst gesehen habe, weiß ich, was sie meinte.
Denn das, was die Spielenden da miteinander, aneinander oder an sich selbst entdecken, was sie ausprobieren und wie sie mich daran teilhaben lassen, fesselt mich sehr. Wenn sie sich auf eine Blumenwiese, in eine Unterwasserwelt, an den Strand oder in den Wald schnipsen, spüre ich den Schalk, der ihnen im Nacken sitzt und die Hoffnung auf eine bessere, freiere Zeit nach Corona. Ich nehme also nicht nur ihre Experimentierfreudigkeit und Spielfreude mit, sondern auch die Hoffnung, dass bald wieder ehrliche, einfühlsame und offene Begegnungen möglich sind, ob im Theater, vor einem Greenscreen oder im Café an der Ecke.