Gefühle erst im Nachhinein

Warum 4 WËnde vom Jugendclub Die Aktionist*innen vom Maxim Gorki Theater immer brodelt, aber den analogen Theaterraum gebraucht hätte

Applaus, Applaus!

Jannika

Nur so viel vorweg: Ich habe ja wirklich versucht, mich darauf einzulassen. Mit allem, was ich habe. Ich saß im Bett und hab gemerkt, ohje, da macht was zu. Denn das mit dem digitalen Theater ist ja so eine Sache. Das wusste ich schon vorher. Da gibt es Live-Perfomances, Videoinstallationen und Audiowalks; es gibt Tonausfälle, Lichtpannen und W-Lan-Verluste. Mal geht das Konzept auf und mal nicht. Außerdem gibt es Fragen wie: Wer spricht? Und wenn ja, ins Mikro? Und ist das dann auch an? Oder: Was ist eigentlich mit Kameras? Und wenn ja, wie viele? Und wo und wann auf wen gerichtet?

Das Ensemble von 4 WËNDE bot mit einer beeindruckenden technischen Ausstattung viele Möglichkeiten: da gab es Aufnahmen aus der Vogelperspektive, Close-Ups, Wide Shots und vor allem viele Aufnahmen von Handkameras. Props an das Technikteam. Am eindrücklichsten waren die Vogelperspektiven und Wide Shots, in denen ich das Gefühl hatte, einen Moment innehalten zu können als stille Betrachterin hinter meinem Bildschirm. Im Theater entscheide ich, wohin ich schaue - für mich ist das ein großer Teil des Charmes. Ein bisschen wie die Lip-Sync-Battles bei Drag Race: Wer generiert mehr Aufmerksamkeit? Wer performt eindrucksvoller? Die Antwort ist oft sehr subjektiv, aber im (analogen) Theater habe ich oft das Gefühl, mich recht schnell an bestimmten Schauspieler*innen zu orientieren, an denen mein Blick öfter hängen bleibt als an anderen. Diese Möglichkeit gab es bei 4 WËNDE nur sehr begrenzt: eben in den weiten Kameraeinstellungen, in denen die Dinge auch nebeneinander geschehen durften und ich meine Entscheidungsmacht als Zuschauerin zurück hatte. Sie haben die Szenen in ein schlüssiges Gesamtbild gerückt, das leider nur selten zum Vorschein trat.

So hatte ich öfter das Gefühl, den Überblick über das Stück verloren zu haben. Die durch die schnellen Bewegungen der Handkameras erzeugte Hektik hatte zur Folge, dass das Stück selbst in den ruhigeren Momenten wirkte,

als brodelte es unter der Oberfläche immer weiter.

Das erschwerte es mir, trotz Theater im Bett, einmal richtig durchatmen zu können. Und so langsam kam auch in mir das Gefühl auf, demnächst mal gegen eine Wand laufen zu müssen. In diesen Momenten habe ich mich ins Theater gewünscht, in den Zuschauerraum, in den analogen live-space. Denn mir vorzustellen, wie das Stück dann auf mich wirken würde, hat mich ein wenig friedlicher gestimmt. Angespannt im Vorhinein, dann eingelullt von Männerstimmen und gedimmtem Licht, zwischendurch aufgekratzt-angespannt wenn die Tanzszenen intensiver werden und die Musik lauter. Schade, dass ich diese Gefühle erst im Nachhinein zulassen konnte. Vielleicht liegt es auch am Gather-Space, in dem es literally unmöglich ist, sich selbst auszublenden, oder daran, dass es die zehnte Stunde war, die ich gestern vor dem Bildschirm saß, aber für mich ist 4 WËNDE eins der Stücke, das ein Publikum braucht, das nicht nebenbei in einen Chat schreibt, sondern nach dem Stück klatscht, kritisiert, lobt, argumentiert und dann nach Hause geht und Hummus macht.