Geschmust gefühlt

Für FZ-Redakteurin Tabea schwankt “Like a virgin” der Jungen Akteur*innen am Theater Bremen zwischen emotionaler Verletzlichkeit und der ironischen Distanz von bekannten Stereotypen der Pubertät.

Applaus, Applaus!

Tabea

Nach dem Anschauen von „Like a virgin“ fühle ich mich geschmust. Bin das nur ich? Vielleicht. Ein Versuch zu ergründen, wen dieses Schmusical schmust – und wen es ohne Umarmung zurücklässt.

Die Eingangsszene. Eine junge, weiblich gelesene Person steht am Mikrofon. Sie trägt einen hautengen, bunten One-Suit und ist ungeschminkt. Ihre Körperhaltung ist angespannt, leicht unsicher, wie bei einem Schulreferat. Mit einer dagegen sehr sicheren Stimme spricht sie die ersten Sätze. Sie fragt, wieso Teenager so wenig ernst genommen werden. Die Darstellerin spricht über die Veränderungen des Körpers und der Psyche und nimmt das Wort „Pubertät“ wie ein obszönes Geheimnis erst nach einer kurzen Pause in den Mund. Sind die Hormone denn alles, was junge Menschen ausmacht? Wieso nehmen Eltern die schlechte Laune ihrer Kinder nicht ernst und schieben sie auf die Lebensphase, erwarten aber im Gegenzug, für voll genommen zu werden?

Mit leicht schiefen Stimmen wird der erste Song gesungen – die Bitte, geliebt zu werden, mit (nicht trotz) den Eigenheiten des eigenen Körpers, seinen Haaren, seinen Pickeln, seinen Genitalien.

Aufs eigene Unbehagen konzentrieren

Während ich das Stück schaue, bin ich oft gerührt. Die Texte sind konkret, die Beobachtungen präzise. So werden Eltern karikiert, die Aufklärungsgespräche initiieren und dabei, während sie Offenheit kommunizieren wollen, Scham reproduzieren. Die Darstellenden sprechen die Texte der Eltern teilweise im Chor, um die allgemeine Unbeholfenheit und den Rückgriff auf Altbekanntes zu verdeutlichen. Dadurch entsteht eine ironische Distanz, ohne dass das Elternverhalten kommentiert werden muss.

Die Körper der Jugendlichen sind durch die Kostüme exponiert, es bleibt kein Raum für das Verstecken. Die Darstellenden spielen mal Mädchen, mal Jungs, mal ist das Geschlecht ganz egal. Mir gefällt dieser Ansatz sehr. So wird in Frage gestellt, ob wir das Geschlecht eines Menschen von außen erkennen können, ob nicht das Geschlecht einen pubertierenden Menschen viel weniger ausmacht und als die spezifische Zusammensetzung eigener Erfahrungen. Vor allem die Lieder, die gesungen werden, drücken Teenager-Erleben unabhängig vom Geschlecht aus. Für mich ist das Stück am stärksten, wenn es sich auf das eigene Unbehagen fokussiert und nicht auf die Fakten, die wir in einem guten Bio-Unterricht lernen sollten. Ich finde es zum Beispiel großartig, wie viel Zeit sich genommen wurde, um über Erfahrungen des Menstruierens zu sprechen. Deshalb habe ich mich auch geschmust gefühlt. Es ist wichtig und ermächtigend, dass so darüber gesprochen wird.

Durch den Bühnenvorhang tritt eine Darstellerin auf die Bühne, die ein Vulvakostüm trägt. Ihr Kopf ist die Klitorisspitze. Die Vulva wird detailliert vorgestellt und liebevoll beschrieben. Als würde sie ein mystisches Märchen erzählen, erläutert eine zweite Person die einzelnen Komponenten einer Vulva: Innere und äußere Lippen, Klitoris, Klitorisspitze, die zeltartige Kapuze. Es wird beschrieben, wie durch die Entstehung patriarchaler Gesellschaften die Vulva von einem dem Göttlichen nahen Körperteil zu einem stigmatisierten und verdrängten wurde. Weibliche Mystik und Esoterik werden in dieser Szene zurückerobert. Die Szene hat jedoch weitere Implikationen: Eine Frau als ihre Vulva zu verkleiden, kann auch so verstanden werden, als wäre die Frau ihre Vulva. Und eine mystische Geschichte um ein Genital zu weben, ist zwar ein sinnvoller Kontrast zu ihrer Abwertung und der Weg zu mehr Neutralität, vielleicht hätte man diese Neutralität aber auch gleich darstellen können.

Wo war der Penis?

Der Penis erhält im Stück keine eigene Erzählung. Ich streite mit mir: Finde ich das gut, weil der Penis gesellschaftlich viel repräsentierter ist? Ja. Andererseits auch nur auf die erigierte, vermeintlich mächtige Art. Wäre hier nicht auch ein verspielter, mystischer Blick auf einen schlaffen Penis schön gewesen? Was ist mit der Prostata, dem Damm, ein und derselben Röhre für Sperma und Urin? Wieso war die Durchschnittslänge eines erigierten Penis eine wichtige Information, nicht aber, was die Länge überhaupt bedeutet? Über Penis und Hoden wurde so wenig, so neutral gesprochen, dass der gesellschaftliche Blick doch nicht aufgebrochen wurde.

Besser gelingt ein neuer Blick auf Männlichkeit, als über das Weinen gesprochen wird. Oder über den Umgang mit plötzlichen Erektionen. An den Füßen tragen die Darstellenden dabei nixenartige Flossen, die sie verspielt durch imaginiertes Wasser ziehen. Auch hier dürfen verschiedene Erfahrungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Zum Beispiel die Angst vor einer Erektion in der Öffentlichkeit und der etwas routiniertere Umgang damit. Mehr von dem Unbehagen männlich sozialisierter Personen wird leider nicht erwähnt.

Eine Umarmung aus Offenheit

Das Stück umarmt also, um es zusammenzufassen, die Awkwardness vieler Teenager. Es ist ein Schritt zu mehr Offenheit. Es lässt die zurück, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen – ob das nun Eltern sind, oder Jungs, die sich bei dem Thema Menstruation unbehaglich fühlen. Oder Mädchen, die  von weinenden Jungs überfordert sind.

So bleibt die Utopie bei dem Wunsch, man selbst sein zu können, mit all den eigenen Erfahrungen. Ehrlich und verletzlich genug, um mich mit- und einzunehmen. Das Sahnehäubchen - oder, mit den Kostümen gesprochen, die rosa Bommelmütze auf der farbenfrohen emotionalen Nacktheit wäre der Entwurf einer Gesellschaft gewesen, die diese Verletzlichkeit auch annehmen kann. Und uns damit zeigt, wie wir zu dieser fantastischen Welt kommen, die uns in “Like a Virgin” kurzzeitig geschenkt wurde.

„Like a virgin“ hat mich auch so begeistert, weil es der ernsthafte Versuch ist, sich mit der Pubertät zu versöhnen. Sie nicht als Gegner*in oder Mysterium zu begreifen. An diesem Anspruch dürfen die Charaktere aber auch mal scheitern.  Wie eine Person aus dem Stück, die sagt: „Ich saß da, auf meinem erwachsenen Bett, in meinem erwachsenen Zimmer, mit Nick [einem Kuschelschaf] im Arm, und weinte.“ Manchmal erscheinen Kindheit und Erwachsensein als Gegensätze, denen man beiden nicht mehr entspricht. Schön, dass dann wieder dazu übergegangen wird, das Dazwischensein zu umarmen.