FZ-Redakteurin Miedya begibt sich schrittweise durch die musikalische Dystopie “Homo Deus” vom Jugendklub der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, um herauszufinden warum mehr Deus als Sapiens in Homo stecken könnte.
Applaus, Applaus!
Es ist 2345. Die Menschheit hat Hunger, Altern, Krankheit überwunden. Sie ist frei von der Unbedingtheit des Todes, Sterben scheint ein antiquiertes Konzept. In der Postpostpostmoderne lebt der Mensch un/endlich sein bestes Leben. Tut er doch, oder?
In der Redaktion vernehme ich ein Raunen. Digitalisierung Dystopie K.I. Selbstoptimierung. Letztlich steckt in jedem Zukunftsentwurf ja auch eine Übermalung unserer gerade gelebten Gegenwart: ‚Homo Deus‘ ist gerade dieser Aspekt sehr fein gelungen. Die Rückbezüge, wenn z.B. ein Dating-Simulator den Balztanz des 21. Jahrhundert-Homo Sapiens (das sind wir huhu) erfahrbar macht und dabei die sozialen Konventionen und Regeln unserer Zeit für die Protagonistin ähnlich überfordernd und stellenweise mysteriös sind wie für uns heute, dann finde sicher nicht nur ich das absolut nachvollziehbar.
Das Hörstück nimmt Zuhörende mit, in einen Entwurf des Lebens im 24. Jahrhundert. der, ohne in Klischees abzurutschen, an eine Tradition der Science Fiction anschließt. Der Jugendclub der Staatsoper Unter den Linden hat einen imaginären Raum geschaffen, der genau durchdacht ist.. Gleichzeitig nimmt die Erzählung sich aber nicht so todernst, dass sie bei mir ein Augenrollen auslöst wie es die Sci-Fi Dystopie ‚Black Mirror‘ in ihren schlechteren Folgen vermocht hat. Todernst, darüber hab ich nach dem Hören noch einen Moment denken müssen, wird an einer Stelle über das Sterben gesagt: Es liegt kein bisschen und gleichzeitig so viel Ernst darin. Das Sterben scheint in der Welt des Homo Deus noch fremder als es uns eh schon ist, gleichzeitig weist genau dieser Umstand auf unsere eigene Distanz zum Tod hin. Wenn du das hier liest, bist du sehr wahrscheinlich noch nie gestorben. Ich bin noch nie gestorben. Trotzdem haben wir alle irgendwie eine Haltung, Meinung, ein Gefühl dazu. Egal, wie viel Gott im Menschen steckt, das scheint zu bleiben.
Im ‚Kleinen Organon für das Theater‘ (1948) definiert Brecht Verfremdung so: ‚Eine verfremdende Abbildung ist eine solche, die den Gegenstand zwar erkennen, ihn aber doch zugleich fremd erscheinen lässt.‘ Ich würde behaupten, Homo Deus sprudelt vor Verfremdungen.Zum Beispiel ist die Mutterfigur im Stück eben nicht die menschliche Einheit Mutter , sondern eine Nachahmung dieser, basierend auf Erinnerungen und Eigenschaften, die in einer Cloud gespeichert sind. In den Klangcollagen, die sich manchmal im Hintergrund halten und manchmal in den Vordergrund drängen, wird Piepen, Fiepsen, Ringen, Rattern allesamt nicht neu erfunden - aber so arrangiert und zugespitzt, dass es neben Stress sehr viel Befremdung in mir ausgelöst hat. Gleichzeitig glaube ich der Welt in der Homo Deus spielt aber auch, dass sie auf Erkenntnis basiert. Das unterscheidet das Stück von bloßer Fantastik oder einem Märchen, das in der Zukunft liegt.
Auffällig stark sind die Stimmen, die dieses Hörstück prägen. Sowohl die humanen Protagonist*innen, als auch die K.I.-Stimmen und eingeworfenen Jingles, Werbeslogans und Geräuschkulissen sind deutlich, klar und angenehm anzuhören. Die visuelle Ebene hat mir nicht gefehlt, für mich war die Mischung aus Musiktheater und Hörspiel ideal. Wesentlich beigetragen haben dazu auch die Chöre und Soli. I Die wuchtige, barocke Atmosphäre, die sich aufbaut, wenn der Chor ‚Vanitas Vanitatum‘ anstimmt, war ein toller Kontrast zu dem sonst so glatten Sounddesign einer Welt, in der leicht unterwürfige, oft helle weibliche Stimmen einem jede Sorge abnehmen sollen.
Wer Spaß am Finden von Referenzen hat, wird mit Homo Deus auch sehr glücklich werden. Man kommt nicht drumherum, im präzise getakteten Alltag einen Verweis auf Orwells 1984 zu sehen oder auf das Versprechen von ‚Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit‘ in Brave New World. Die bereits erwähnte Serie Black Mirror gibt mit San Junipero oder The Entire History of You, zwei der besseren Folgen der Anthologie, gleich mehrere Ansatzpunkte her. Erstere durch die verfremdet-vertraute Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, die sich in mehreren Realitäten abspielt, zweitere durch den Einsatz eines Implantats, das jedes Erlebnis aufnimmt und jene Aufnahmen, die in dieser Welt als Erinnerung gelten, über Auge und Monitore jederzeit zugreifbar macht.
Doch auch ohne Vorwissen und als Neuling in Sachen mögliche Zukünfte ist Homo Deus ein spannendes Hörerlebnis, das bisweilen schmunzeln lässt, rührselig und nachdenklich macht. Es wird nicht nach dem Menschen oder der Welt gefragt, sondern lädt zum Eintauchen in eine Geschichte ein, die im besten Sinne die klassischen Fragen der Science-Fiction stellt: welcher Mensch? Welche Art von Welt? Warum solch ein Mensch in solch einer Welt? All das in einer ausgefeilten Ästhetik, die hochwertig und zugänglich zugleich bleibt.