FZ-Redakteurinnen Tabea und Jannika haben sich zusammengetan, um über das gestrige Hörstück “Homo Deus” vom Jugendklub der Staatsoper Unter den Linden in Berlin nachzudenken: Sind die Figuren frustrierend oder realistisch? Und was ist der geheime Plan der Künstlichen Intelligenzen?
Applaus, Applaus!
T: Hey Jannika! Wir treffen uns in einem Online-Dokument und können uns beim Schreiben zusehen. Das ist eigentlich ein ziemlich passendes futuristisches Treffen. Würdest du gerne in der Zukunft, so wie sie in Homo Deus beschrieben wird, leben?
J: Puh, schwierige Frage. Einerseits wüsste ich schon gern, wie sich das wohl anfühlt, ein Leben mit KIs und unsterblichen Menschenwesen um mich herum. Andererseits hatte ich im Stück oft das Gefühl, dass die Zukunft unglaublich stressig wird. Wie ist das bei dir?
T: Ging mir ähnlich. Überforderung ist meine erste Assoziation zu dem Stück. Wahrscheinlich, weil die Protagonistin öfter überfordert war - mit dem neuen Update, das ihr während ihres Dates permanent Werbung ins Ohr spielt, mit der in einer Cloud gespeicherten Mutter, die sich an wesentliche Details der Mutter-Tochter-Beziehung nicht mehr erinnert. Auch die Interaktion mit KIs, die die eigene emotionale Lage nicht nachvollziehen können. Ich hab mir auch gedacht: Vielleicht hätte ich ja ganz andere Probleme in genau dieser Welt. Genau deshalb fand ich es so toll, dass aus einer subjektiven Perspektive berichtet wurde, von der man sich auch distanzieren kann.
J: Ja, stimme dir da zu. Abschnittsweise fand ich die Protagonistin total unsympathisch, wenn sie eigentlich genervt von den Umständen oder sich selbst war, es dann aber an der KI ausgelassen hat. Und zeitgleich fand ich gerade das super, weil es sich so authentisch angefühlt hat. Auf der emotionalen Ebene war das Stück für mich sehr stark. Wie fandest du denn die Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen und Konflikte?
T: Ich fand sie zugleich frustrierend und realistisch. Es lässt sich ja zum Beispiel in psychologische Studien nachweisen, dass Macht die Fähigkeit, sich in ein Gegenüber hineinzuversetzen, beeinflusst. Und ich glaube, genau das wurde in dem Stück so gut dargestellt: Wie die Protagonistin ihre Wut an einer KI auslässt, der sie nicht im geringsten empathisch begegnen muss, weil sie “nur” eine Dienerin ist.
Das Stück war ja ein Hörspiel - hast du das Visuelle vermisst?
J: Nein, ich fand diesen hypnotisierend-pulsierenden Hintergrund auf meinem Laptop sogar sehr passend. Wie war das bei dir?
T: Genauso! Gerade, weil die Audioaufnahme ja das Innen-Erleben der Protagonistin dargestellt hat, war es sehr passend nur “innere Stimmen” zu hören.
J: Mich hätte es wahrscheinlich sogar überfordert, noch visuelle Reize aufnehmen zu müssen, weil das Hören schon so intensiv war, dass es meine volle Konzentration gefordert hat. Die Pausen zwischendurch waren sehr angenehm, dann konnte ich zu klassischer Musik noch den letzten gesprochenen Impulsen nachhängen.
T: Das ging mir auch so. Wir haben ja einen Barock-Kanon gehört, der über Vergänglichkeit gesungen hat. Darüber habe ich nach dem Stück noch nachgedacht, weil der Umgang mit dem Sterben total interessant war: Die Mutter war zum Beispiel tot, hat aber Teile ihrer Erinnerungen in einer Cloud gespeichert. Tiere werden beim Sterben beobachtet. Es gibt eine riesige Faszination mit dem, was nicht mehr stattfindet. Ich hab darüber nachgedacht, ob die Hauptfigur nicht zu naiv dafür war, dass sie unsterblich und vermutlich schon recht alt war - wie siehst du das?
J: Die Gesellschaft, die in dem Stück abgebildet wird, verlangt sehr viel von Einzelnen Menschen. Die Protagonistin hat über 20 Jahre lang an einem Projekt geforscht und als sie dann den Durchbruch hat, spürt sie vor allem Druck. Gleichzeitig läuft vieles schief - Updates funktionieren nicht richtig, die KI stellt sich quer. Bei so viel Bewusstsein für das, was um einen herum und mit sich selbst passiert, wird die Frustrationsschwelle bestimmt niedriger, wenn dann immer noch Fehler passieren. Ich habe mir aber eine ähnliche Frage gestellt: Warum existiert im 24. Jahrhundert nicht schon längst viel bessere Technologie?
T: Oh ja, das hab ich auch gedacht! Wer weiß, vielleicht ist es ja ein Plan der Künstlichen Intelligenzen - die Menschen mit ihrem Alltag davon abzulenken, dass sie längst nur noch Arbeitskraft sind. Ich fand es interessant, wie mit erstmal neutralen Fakten (ihre Produktivität liegt bei 99,8%) emotional umgegangen wurde (was, nur 99,8?!). Das lässt natürlich auf Leistungsdruck auf die Protagonistin schließen.
J: Ja, total! Deshalb vielleicht das pausenlose, Überwachen der körperlichen Funktionen wie Herzschlag und Hormonlevel. Das habe ich als zwanghaft wahrgenommen. Was ich auch sehr an dem Stück mag: Es lässt Raum für eigene Überlegungen. Du sagst, du hast danach über den Tod nachgedacht. Ich habe mich nochmal an einzelne Szenen erinnert und fand toll, wie sich die Protagonistin mit der KI über Schokolade streitet. Da zeichnet sich deine Vision der KI’s, die irgendwann alles übernehmen, doch schon leicht ab.
T: Allein die Tatsache, dass wir jetzt so darüber sprechen, lässt mich dankbar dafür sein, dass sie nicht einfach eine alles erklärende Botschaft ans Ende geschrieben haben! Hast du denn eine Botschaft zum Ende dieses Rezensionsgesprächs?
J: Ich habe auf jeden Fall eine Liebesbotschaft an das Ensemble: Ihr habt mich inspiriert!
T: Die teile ich! Danke, dass ihr uns Raum für Gedanken gelassen habt!