Schrille stille Revolution

FZ-Redakteurin Shaja möchte nach “Like a Virgin” von den Jungen Akteur*innen am Theater Bremen herausfinden, weshalb die Themen der Pubertät schambehaftet sind und warum Heranwachsen ein Prozess ist, der nie aufhört.

Applaus, Applaus!

Shaja

Ich summe die Melodie zu Madonnas Like A Virgin… ich muss mir selbst eingestehen, dass ich nie ein großer Fan davon war, über Sexualität, Pubertät und HorrrrrmoOooone zu sprechen. Ehrlich gesagt, nicht mal jetzt. Wie kriegen das also die jungen Akteur*innen des Theater Bremen hin? Eine Überlegung.

System-Update

Aus meinem Interview mit dem Ensemblemitglied Rox weiß ich, dass die Akteur*innen ihre Songs gemeinsam selbst geschrieben und anschließend professionell vertont haben – daher nix mit copypaste Madonna. Sie dient einzig als ikonisches Mittel einer stillen und schrillen Rebellion, die ihrer Zeit einen Schritt voraus und doch passend war. Vielleicht so nah am Geschehen, wie die schrillen Bodysuits in den sanften Pastellfarben am Körper der Schauspieler*innen. Super ist, dass alle Spielenden sie tragen. So sind alle gleich freaky eingefärbt im dunklen Bühnenraum, der immer viel zu groß für die noch nicht hundertprozentig entwickelten Körperlein wirkt.

Bitte versteht mich nicht falsch, wenn ich Körperlein sage, denn in meinen Augen müssen sie noch durch so viel durch, was wir “Post-Pubis” schon in diversem Ausmaß durchlebt haben – wir meinen, Erfahrung wäre immer der Schlüssel und wenn ich dir meine Erfahrung aufschwatze, wirst du es definitiv leichter haben. PAH!

Sowieso: “Pubertät”, wird gleich am Anfang des Stückes gesagt, nimmt viel zu viel Raum in den Köpfen der Post-pubertären Wesen ein. Der Begriff geht stark mit einem vorgeschusterten Set an Beschreibungen einher, eine davon: awkward, zu deutsch: peinlich, unbeholfen, unangenehm. Gegen diese Stereotype wurde gearbeitet. Verhandelt wurde nicht, ob dieser Begriff denn zutrifft; stattdessen breiten die Schauspieler*innen ihren Zustand, ihr System-Update aus wie sie die Einzelteile einer gemischten Tüte Süßkram inspizieren würden. Genau dieses Moment fand sich in vielen Szenen wieder, die mit einer Präzision und langer Weile, ohne zu ermüden, sagen, was weitergesagt werden muss: Wie sehen die Geschlechtsorgane bei cis-Frauen aus? Vulva, äußere Schamlippen, innere Schamlippen, Klitoris, Vagina sind Begriffe die immer häufiger gehört, gesagt, gelesen werden und trotzdem noch mit einem leichten “nicht so laut” oder Kichern im Hinterkopf hallen.

Reclaim Awkwardness

Holt es euch zurück! Ja, es ist irgendwie privat und vielleicht nicht für die Öffentlichkeit, aber die Spielenden nehmen sich heraus, was ihnen schon lange hätte gegeben werden müssen: das Recht auf Scham, Stolpern und Selbstverortung. Wir debattieren hier nicht darüber, ob Scham gut oder schlecht, anerzogen oder evolutionsbiologisch ist – es geht darum, den Dingen ihren Lauf zu lassen, so wie eben auch dem Menstruationsblut. Es ist da und es ist die Quelle des Lebens (abgesehen von ein paar anderen dazugehörigen Prozessen). Als Ensemble, aber auch als Jugendliche, entdecken die Akteur*innen dabei, dass Gemeinsamkeit Situationen erleichtert, erträglicher, erfahrbarer macht – dass z.B. Fantasien zum “Ersten Mal” bei verschiedenen Personen gleich verlaufen können, bloß mit vertauschten Pronomen. Dass dabei Unsicherheit bestehen kann, aber dieses Kribbeln und der ungewohnte Ablauf des sich näher Kommens eben seine Zeit braucht. Besonders die Szene, in der zwei Spielende nahezu synchron von einer romantischen Begegnung mit dem*der Partner*in berichten und schließlich gar nicht wissen, wie es so schnell dazu gekommen ist, lässt mich aufhorchen. Ich möchte klatschen und wilde Assoziationsketten aufschreiben: klirrende Stille, Herzschlag, Stimme und das Gefühl danach, einmal aus seinem Körper herausgetreten zu sein und verstanden zu haben, dass Körper irgendwie doch mehr als nur “Körper” sein können. Und dass die Pubertät auch nur ein kleine Welle ist, auf der man zur nächsten großen, neuen Welle übergeht, auf der sich weiter geschämt, noch mehr Erfahrung gesammelt wird. Die neuen Wellen könnten den Verlust von Fantasie mit sich bringen - oder die Möglichkeit, auf einer großen Fläche stolzieren zu können, ohne daran zu denken, dass man sich darauf oft sehr klein gefühlt hat.

Was bleibt, ist der Eindruck, dass es nicht viel Sinn macht, von “Mut” oder einem “mutigen” Stück zu sprechen, denn mutig ist nur der*die, der*die es wagt von seiner*ihrer komfortablen Gedankencouch aufzustehen und dabei zu sagen, was sich niemand anders traut. Diesen Anspruch haben die Jugendlichen hier nicht, Intimität und körperliche Veränderung sind anscheinend schon vertraut und bequem wie eine Couch für sie. Sie wollen viel eher, dass es kein Flüstern, und kein “Das geht schon vorbei” gibt, denn sie wissen ganz klar, danach geht’s weiter.