FZ-Redakteurin Lisa wandert nachdenklich durch die Aufführung “Die Verdunkelung” des Piccolo Jugendklubs aus Cottbus. Sie beleuchtet die Wucht, die im Kleinen und Großen der Inszenierung entsteht.
Applaus, Applaus!
Wo fange ich an? Vielleicht am Ende. Oder kurz davor. Wenn ich jeden Zynismus, jede Härte, jede Verschlossenheit aus Angst, verletzt zu werden, kitschig zu sein oder zu große Gefühle zu spucken, ablege, was wünsche ich mir dann für Dich. Was traue ich mich dann, auszusprechen?
Die Verdunkelung gibt ihrem Ende einen Anfang mit, eine Sammlung an Wünschen. Es wird Großes gewünscht, verziehen und geliebt. Es wird ein Briefausschnitt vorgetragen. Ich bin selbst Wünschende und Bewünschte. Das Du, das sind wir alle, aber jede Person einzeln angesehen. Gleichzeitig schließt sich ein Kreis um den Abend und führt wieder zurück zu den Zeilen des Anfangs. Gedenkt unsrer // Mit Nachsicht. Ein Wunsch Brechts an die Nachgeborenen, eine Bitte, eine Erklärung. Sind das die Nachgeborenen, die da auf der Bühne vor uns stehen? Die uns da mit mit Silberfolienschildern einen Spiegel vorhalten? Kinder haften für ihre Eltern.
Zwei stehen sich an Geländern gegenüber und schreien sich an. Weil sie sich nicht verstehen. Weil der Wind so laut ist und der Abgrund so tief. Und weil sie anderer Meinung sind. Es kommen mehr dazu. Es ist Nacht, es ist dunkel und es wird über das Klima diskutiert. Eine Szene, zu der die Inszenierung immer wieder zurückkehrt, um sie weiterzuführen. Dazwischen passiert so einiges: Eine Liste mit den Namen verschiedenster Fischarten wird ausgerufen. Wie viele verschiedene Wale es gibt! Und zwei sind friends geworden, ein Mensch und und Fischlein. Ein Tunfischlein? Die Szenen sind kantig aneinander gereiht, werden aber durch wiederkehrende Elemente wie die Tonaufnahme von Brechts Stimme, die spiegelnden Schilder, Einsätze des Chors und der Geländerszene dramaturgisch zusammengehalten.
Die für die Inszenierung ausgewählten Lieder bilden einzelne Szenen. Ob Bleu Nuit von Timber Timbre, La Collina Dei Ciliegi von Lucio Aracri, Generation YouPorn von Faber oder Apocalypse von Cigarettes After Sex zum Abschluss — die Musik erfüllt nicht nur einen atmosphärischen, sondern auch einen inhaltlichen Zweck. Aus ihr entstehen Momente der ausgelassenen Freude und Zärtlichkeit (Lucio Aracri), des sich zuspitzenden Zynismus (Faber) oder einer Melancholie, die den Blick nach vorne richtet (Cigarettes After Sex). Die Lyrics werden dabei zum Dramentext. La Collina Dei Ciliegi — Der Kirschgarten — wird Zeile für Zeile ins Deutsche übersetzt, während sich die Schauspieler*innen mit einem Lächeln in die Augen schauen. Cancella col coraggio quella supplica dagli occhi. — Lösche mit Mut den flehenden Ausdruck aus deinen Augen.
Es wird von der geliebten Haustierschlange Katrin erzählt, die umgebracht werden musste, weil sie Anstalten machte, den*die Besitzer*in verschlingen zu wollen. Es wird getanzt, alleine und zusammen, die Bühne wird in euphorischem Gewimmel verwüstet. Plötzlich stehen da Gestalten mit weißen Masken und bodenlangen weißen Schürzen, die von ihrem Beruf als Schlachter*innen erzählen. Wie sie die unterentwickelten Ferkel gegen eine Wand schmeißen, damit sie sterben. Wie sie es Klopfen nennen. Wie die geklopften Schweine in einem Raum liegen, bis sie vom Kadaverlaster abgeholt werden. Wie manche noch leben, wenn sie nochmal reinschauen. Wie eins noch rumrennt und ein Auge hängt raus. Wie die Arbeitenden vom Geruch des Blutes aggressiv werden und die Schweine nicht nur töten, sondern quälen wollen. Wie einer mit dem scharfen Messer einem Schwein einfach die Nase abschneidet. Wie es durch die Haut geht wie Mortadella. Wie das Schwein durchdreht. Und wie er, als es sich beruhigt hat, nochmal Salz hineindrückt. Wie manchmal die Schweine kommen und sich an sie kuscheln. Sich an ihrem Bein reiben. Und wie sie sie dann mit schweren Metallstangen töten müssen, weil das ihr Job ist.
Während sie das erzählen, stehen die Schauspieler*innen in Umarmungen auf der Bühne. Die vordere Person trägt die Schürze um ihren Rücke und die Maske über dem Hinterkopf. Die Arme der hinteren Person sind nach vorne gestreckt und gestikulieren, als gehörten sie zum Körper der Schürzengestalt.
Diese Szene lässt sich eigentlich nur nacherzählen, um ihre Wucht zu verdeutlichen. Ein weiterer Moment im Stück, der überwältigend und auf den Punkt inszeniert ist, der mich derart bannt, dass ich nicht aufhören kann, ihn fassen zu wollen.
An vielen Unsicherheiten hängen Wünsche. Ein Satz aus dem Stück, der unter den Lieblingssätzen der FZ Redaktion gelandet ist. Für diese Wünsche gibt es Raum in der Inszenierung, immer wieder. Wünsche nach Veränderung, nach Zuhören, nach Taten, Offenheit, Verständnis, Revolution, Liebe und Freundschaft. Nach Leichtigkeit im Schweren, Zärtlichkeit im Gewaltvollen, Zusammenhalt im Brüchigen. Die Forderungen können so groß sein, weil sie im Kleinen passieren. In Geschichten von Haustieren, in Namen von Fischarten, in Übersetzungen von Liedern, in Gegenüberstellungen an Geländern, in Widersprüchen, Zweifeln und Fragen. Nichts ist platt oder kitschig. Alles trifft tief und mit Wucht. Mit dieser Wucht werde ich entlassen. Berührt und nachdenklich und offen für Großes.