Applaus, Applaus!
Ich sitze im Bett vor dem Laptop (surprise) ohne jegliche Erwartungen. Die Bluetooth-Box brummt sanft vor sich hin, der Laptop heizt langsam meine Oberschenkel auf. Den live-Stream auf Gather habe ich längst ge-x-t, für das Vollbild-Erlebnis. Dann erscheint ein dystopischer Hintergrund auf meinem screen, darauf ein Schriftzug. Wir befinden uns in einer Welt nach der Welt, ich stelle mir unvorstellbare Wesen vor. Mein Notizbuch liegt auf meinem Schoß und noch ahne ich nicht, wie viele unmittelbare Reaktionen später darin stehen werden, oder wie sehr ich mich beim Frühstück am nächsten Morgen über diese Kommentare freuen werde.
Von Anfang an ist für mich die (Hintergrund-)Musik und der Gesang der Schauspielenden im Stück sehr präsent. Mein Notizbuch hat dazu verschiedene Meinungen: Gesang sehr lang, uff. und GEILE MUCKE!!! stehen direkt hintereinander, ein wenig später folgt OMG WIE VIEL MACHT BITTE DIE MUSIK AUS???, schon auf der nächsten Seite steht Klimakrise-Rap ROCKT lol und als fast letzte Notiz: OMG Helge Schneider Cover!!!. Ich lerne daraus: anscheinend benutze ich mittlerweile auch analog gern Akronyme, schreibe in all caps und benutze eine wagemutige Anzahl an Satzzeichen. Außerdem: die Musik in Wir sind alle Kosmonauten hat mich wohl größtenteils sehr gecatcht. Es wird gerappt, gesungen, gesummt, percussiert, gecovert, und vor allem: getanzt.
Auch die ausgefeilten Tanzeinlagen sorgen für verschiedene Reaktionen in meinem Notizbuch. Dabei habe ich von Anfang an Lust, aus dem Bett zu hüpfen und mitzumachen, ein Impuls der mittlerweile nur noch selten einsetzt. Teilweise erinnern mich die abgehackten Bewegungen an Thom Yorke im Musikvideo zu "Lotus Flower", an anderer Stelle muss ich an die TikTok-Tänze meiner kleinen Schwester denken. Besonders eingenommen bin ich anfangs vom "Corona-dance", bei dem die Spieler*innen immer wieder ein zaghaftes, wildes, oder auch aggressives Hatschi! in den Raum werfen. Bei den ersten drei sage ich noch Gesundheit, dann habe ich die Hoffnung auf Besserung verloren und mache mir ein bisschen Sorgen. Körperlich ist die Gruppe sehr präsent bis auf wenige Ausnahmen im Stück , für mich haben die Bewegungen oft etwas neugierig-verspieltes, in bestimmten Szenen wirken sie gar ritualhaft, oder wie mein Notizbuch sagen würde: OMG Tanz so creepy.
Auffällig ist am nächsten Morgen dann doch, dass zum Inhalt des Stückes wohl unmittelbar nicht so viel auf’s Papier kam. Da finden sich höchstens Überlegungen zum Zitat "Bin ich ein Teil von deinem Geist?", die sehr schnell ins Sinnieren über die Geist-Funktion in Gather übergehen.Wie es wohl wäre, freiwillig Geist sein zu können? Ist das vielleicht ein Fortbewegungsmittel der Zukunft: einfach durch alles hindurchgehen können? Oder die Frage, was die Masken zu bedeuten haben, die mir das Notizbuch mit Ah, Kosmonauten und Zauberwürfel. Klar. diffus beantwortet. Die Kosmonauten stellen sich als Außenseiter*innen dar, als Weirdos und Individuen. Sie verhandeln die Klimakrise, sie verhandeln das Corona-Leben, sie verhandeln Beziehungen und Freundschaften. Und gefühlsmäßig bin ich immer voll dabei, dafür sorgen Kostüme, Musik, Tanz und die ehrliche Intensität der Spielenden. Aber inhaltlich bleibt irgendwo zwischen den vielen kurz angerissenen Themen etwas auf der Strecke. Selten geht es tiefer als diese unmittelbaren Emotionen, die sich in meinem Notizbuch sammeln. Wie gerne hätte ich einen größeren Kontext, einen Zusammenhang erkannt. Spätestens als gegen Ende für zwei Minuten mein Internet aussetzt und mich beim erneuten einloggen das Helge Schneider Cover von Forever At Home begrüßt, bin ich lost. Nicht im negativen Sinne, schließlich ist es Helge Schneider und mein Notizbuch sagt Die GoPro am Schreibtischstuhl... LOVE, aber lost bin ich trotzdem.