Es braucht angstfreie Räume

von Diana

Ich gehe aus einer kreativ gestalteten, ausdrucksstarken und durchdachten Vorstellung und bleibe trotzdem unbefriedigt. Ich habe das Gefühl, dass es eine Dissonanz gibt, dass irgendetwas nicht funktioniert. Ich sammle eure Stimmen zum Stück, höre immer wieder, wie relevant die Thematik ist, ich höre, dass sich einige von euch zum ersten Mal mit Antiziganismus auseinandergesetzt haben und werde trotzdem den Eindruck nicht los, dass die Ziele des Ensembles und die Reaktionen des Publikums auseinanderklaffen. In meinem Notizbuch finde ich unzählige Satz- und Wortfetzen, neben die ich mal klitzekleine, mal überdimensional große Ausrufezeichen gemalt habe – bei Sätzen, die hängenbleiben, bei Momenten, die nachklingen.

Vom Jubel begraben

„Die Deutschen in Romanistan töten“, lese ich, dick unterstrichen, neben einem dieser Ausrufezeichen. Ich erinnere mich, wie das Publikum bei diesem Satz gelacht hat, ein paar haben gejubelt. Auch ich lache in mich hinein. Trotzdem stört mich irgendetwas. Nicht die Aussage selbst stört mich, wieso auch? Sie ist in ihrer Provokanz gewaltig, wichtig und hat jede Berechtigung in einem Stück, in dem auch die Verfolgung und Ermordung der Sinti*zze und Rom*nja durch die Nationalsozialisten angerissen wird. Vielmehr störe ich mich an mir und dem Publikum, ich störe mich an der unmittelbaren Reaktion von uns Zuschauer:innen. War sie richtig? Ich frage mich, ob wir die Worte feiern oder uns selbst für unsere eigene hegemonial*- und systemkritische Haltung. Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, kurz einen Irritationsmoment zuzulassen, der uns hinterfragen lässt, warum diese gewaltigen Forderungen ihren Platz im Stück gefunden und weshalb sie nicht nur berechtigt, sondern vielleicht sogar notwendig sind? Stattdessen bestärken wir uns selbst darin, dass wir keine Patridioten sind und begraben die Sätze mit Jubel, anstatt sie nachhallen zu lassen.

Unausgesprochen

Auch im Forum gibt es immer wieder Augenblicke, die in mir nachflimmern. Hier bietet uns das Ensemble die Möglichkeit, den Auftritt mitzugestalten. Zuerst möchte die Moderatorin von uns wissen, welche Stereotype gegenüber Sinti*zze und Rom*nja wir kennen. „Besonders schön“, hört man eine Stimme rufen. „Und wie sind die Sinti und Roma, die ihr kennt, so?“ – „Solidarisch, hilfsbereit“, geben Zuschauer*innen an. In mir kommt das Gefühl auf, wir belügen uns gegenseitig. Scheinbar positive und “nette” Vorurteile werden geäußert, noch verletzendere, aber durch Filme wie “Der Glöckner von Notre Dame” präsente bleiben unausgesprochen - und damit unbearbeitet. Wir trauen uns nicht, diese Dinge zu erwähnen, vielleicht aus berechtigter Angst, Stereotype zu reproduzieren, vielleicht aus Scham über unsere eigenen rassistischen Denkstrukturen. Die Frage, die mich und das Publikum umtreibt, scheint mir eher: Wie komme ich hier sauber wieder raus? und nicht Wie kann ich lernen, meine eigenen rassistischen Vorurteile zu erkennen und zu überwinden?

Das Gesprächsangebot annehmen

Hinter mir höre ich während der Forumsarbeit die berechtigte Frage, ob es überhaupt in Ordnung sei, als nicht von Diskriminierung betroffene Person zu entscheiden, was das Beste für Sinti*zze und Rom*nja sein könnte und ihnen schauspielerisch Handlungsanweisungen zu erteilen. Als könnte man einer diskriminierten Gruppe erklären, wie sie am besten nicht mehr diskriminiert wird. Auf diese Bedenken reagiert ein Ensemblemitglied mit dem Hinweis, der Bühnenakt von Nicht-Diskriminierten müsse nicht diskriminierend sein. Man könne sich auch die konkrete Frage stellen, wie man Sinti*zze und Rom*nja im besten Fall unterstützen kann und ihnen so nicht die Pflicht aufbürdet, auf sich allein gestellt antiziganistische Diskriminierung abzubauen. Eine solche Form der Unterstützung präsentiert uns die erste Kleingruppe auf der Bühne: Die nicht von rassistischer Diskriminierung betroffenen Personen bestärken dort die Sinti*zze und Rom*nja in ihren Bemühungen um mehr öffentliche Sichtbarkeit. Sie demonstrieren, jubeln und applaudieren, sie reden mit ihnen, nicht für sie. Dieser Kleingruppenbeitrag ist wichtig und trifft den Kern des Stückes: Es geht nicht darum, einen Handlungskatalog für diskriminierte Menschen zusammenzustellen, sondern das Gesprächsangebot des Ensembles im Forum anzunehmen.

Plädoyer fürs Scheitern

Wenn ein Dialog über Diskriminierung nachhaltig sein soll, muss er zum einen in geschützten Räumen angeboten werden und zum anderen mögliches Scheitern erlauben. Solche Momente des Scheiterns gab es auch im Forum. Dass wir im Kollektiv gerade diese Momente übergangen haben, ist bedauerlich. So stellt ein Zuschauer im Forum fest, dass in der improvisierten Szene anderer Kleingruppen diskriminierende Klischees dargestellt und so reproduziert wurden. Eine Diskussion, ob dies im Rahmen eines gemeinsamen Lernprozesses berechtigt sei und welche Darstellungen auf der Bühne verletzend sind, hätten bisherige Unsicherheiten im Umgang mit Stereotypen im Theater aus dem Weg geräumt. Dass dies angesichts des ungeschützten Raumes, in dem das Stück präsentiert wurde, keinen Platz fand, ist verständlich, für den individuellen Lernprozess jedoch ärgerlich.

Ausweichen oder Konfrontieren

Generell bleibt der Eindruck zurück, dass der Umgang mit Diskriminierung und eigenen Vorurteilen angstbelastet ist. Vorsicht im Umgang mit marginalisierten Gruppen ist zentral, da nicht-diskriminierten Personen oft nicht bewusst ist, welche potenziellen Mikroaggressionen ihre Worte und Handlungen darstellen können. Trotzdem dürfen wir nicht aus Angst vor moralischem Versagen den Versuch unterlassen, zu verstehen, nachzufragen und damit nachhaltig zu lernen. Zeitweise kam ich mir vor wie im Klassenraum: Wir bewerten uns danach, wer die korrektesten Begriffe nutzt, wer die eingeübten Phrasen am besten aufsagen kann und beweihräuchern uns gegenseitig für unsere eigene moralische Unfehlbarkeit. Dabei stoßen wir aber nicht in die Grenzgebiete vor, in denen noch gefährliche Unsicherheiten herrschen – gefährlich, weil sie im alltäglichen Umgang mit Sinti*zze und Rom*nja zu verletzendem Verhalten beitragen können. Hin und wieder ließen sich diese Unsicherheiten sogar konkret greifen: Wenn Zuschauer*innen in Diskussionen Redebeiträge formulieren, wiederholt die Moderatorin die Beiträge in ihr Mikrofon, damit sie vom ganzen Raum erfasst werden können. Fast scheint es dann als schreckten die Redner*innen vor ihren eigenen Antworten, nun neu formuliert, zurück. Man kann die Verunsicherungen nachfühlen: „War das so richtig?“, „Darf man das so sagen?“ Die Zuschauer*innen verneinen dann, stellen noch einmal klar, machen ihre Antworten konkreter oder weniger deutlich. Die Sorge, einen Fehler zu machen, führt eher zum Ausweichen als zum Konfrontieren der eigenen Vorurteile.

Keine Phrasen wiederkäuen

Vielleicht musste der Lernprozess daran scheitern, dass die öffentliche Vorführung des Stückes beim TTJ nicht den notwendigen geschützten Raum bot, den es braucht, um über eigene Diskriminierungserfahrungen und verinnerlichte rassistische Klischees zu sprechen. Dass die Vorurteile durch die improvisierten Szenen im Forum direkt in die Öffentlichkeit gesprochen werden, macht eine klärende Aussprache und das Überwinden schwierig. Fehler können nicht in einer kleinen Gruppe gemacht, erkannt und überwunden werden, sondern stehen unmittelbar einem Publikum gegenüber, das buht und urteilt. Erst in safe spaces kann schuldfrei gelernt, erlebt und nachgefragt werden, nur dort kann die Angst vor einem moralischen Scheitern minimiert werden und nur dort können (Rest-)Unsicherheiten im Umgang mit diskriminierten Personen abgebaut werden. Ein Klassenraum kann ein solcher safe space sein. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass der Aufbau eines safe spaces für nicht-diskriminierte Personen dazu führt, dass der safe space der Betroffenen dadurch Risse bekommt. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass die Bildungsarbeit von RomaTrial enorm effektvoll ist - vorausgesetzt, auch auf Seiten der Zuschauenden besteht die Bereitschaft, sich auch unbequemen Fragestellungen zu widmen und nicht nur bereits eingeübte Phrasen wiederzukäuen.

* hegemonial = eine Vormachtstellung innehabend