Juhu! Heute mal Kino!, freuen sich alle. Es ist nach einer Woche TTJ ungewohnt, sich im großen Saal einzufinden, vor einer riesigen Leinwand zu sitzen, anstatt vor der live bespielten Seitenbühne. Ich bin erstmal skeptisch. Ich habe schon einige dieser „Corona-Produktionen“ gesehen - als Theaterstück angefangen zu proben und dann unbeholfen zu einem „Theaterfilm“ zusammengeschustert, „damit wir das zu einem Abschluss bringen“. Ich erwarte Zoom-Kacheln, Handy-Aufnahmen, gefilmte Bühnenszenen. Ohne Frage kann all dies, gut gemacht, auch einen Reiz haben.
Aber stattdessen sehe ich eine Filmproduktion in einer beeindruckenden Balance aus professionellem Schnitt, durchdachter Kameraführung und lässiger Unperfektheit der Spielenden. Es ist eine Mischung aus improvisiertem DIY – das Make-up sitzt nicht immer perfekt, einige Requisiten sehen selbstgebastelt aus – und einer überwältigenden Ästhetik. Insbesondere eine Szene bleibt im Gedächtnis: Vor einer hellblauen Wand, an einer langen Tafel sitzen Theseus, Hippolyta und Egeus, Hermias Vater. Auf dem Tisch: riesige Plastikhummer, Maiskolben und ein ausgestopfter Falke, den Theseus so penetrant streichelt, dass es irgendwie unangenehm ist. All das wirkt in den abgestimmten Farbkombinationen wie ein zum Leben erwachtes impressionistisches Gemälde.
Schon in dieser Szene fallen Sätze, die so offensichtlich problematisch sind, dass ich mir sicher bin, dass sie im Laufe des Stücks noch kritisch aufgegriffen werden. „Ihr Herz habe ich besiegt mit roher Kraft. Frauen wollen erobert werden, nicht wahr?“ Kurz darauf sagt Hermias Vater über seine Tochter: „Sie ist mein Eigentum. Ich kann über sie verfügen.“ Ein Frauenbild, das Parallelen zum ausgestopften Falken aufweist: Ein unbewegliches Streichelobjekt für Männerhände. Im Programmheft steht in der Stückbeschreibung: “Es ist Hippolyta, die gezähmte Amazone, die von Theseus, dem selbsternannten Wächter von Kultur und Patriarchat, mit Gewalt geraubt, bei Shakespeare kaum Sprache hat, aber entscheidende, wie Balsam wirkende Sätze sagt.” Das impliziert, dass der Produktionsleitung sehr wohl bewusst ist, welche Themen angerissen werden.
Hermia und Lysander flüchten in den Wald, damit Hermia nicht Demetrius heiraten muss, wie ihr Vater das will. Demetrius folgt ihnen. Und Helena, die Demetrius liebt, folgt wiederum ihm. Auch hier überwältigt das Farbkonzept. Während die Szenen am Tag eine überwiegend warme Färbung haben, wird die Welt nachts im Wald kühl und unheimlich. Der Wald wird zur Bühne, die Bäume zum Publikum. Durch die Verwechslungsgeschichte streunen Elfen mit riesigen Ohren und Puck im Glitzer-Pailletten-Oberteil, der Liebestränke verteilt. Mit der Verkomplizierung der Geschichte und verschiedenen Nickerchen auf dem Waldboden werden die weißen Kostüme nach und nach dreckig.
Die Darsteller*innen bleiben bemerkenswert nah am Originaltext und machen sich die Shakespeare’sche Sprache ganz beiläufig zu eigen, jede*r auf seine*ihre eigene Art und Weise. Die Spieler*innen sprechen natürlich und authentisch, fast, als wären es ihre eigenen Worte, dennoch in einer theatralen Spielweise, die im Kontrast zum Medium Film steht. Die gelegentlichen Versprecher sind sympathisch. Auch hier ist die Inszenierung professionell, ohne zu glatt, zu poliert zu wirken. Aber was für eine Geschichte wird dort erzählt, im Wald? Immer wieder die Darstellung der Liebe als Rausch, als Naturgewalt, gegen die man nichts ausrichten kann. „Ich hasse dich“, sagt Helena zu Demetrius. Und er erwidert: „Wie schön du bist!“ Wieder wird weibliche Wut nicht ernst genommen. Wieder werden Grenzen überschritten. Wieder gelten Triebe als Entschuldigung für Übergriffigkeit. Und wenn man wirklich verliebt ist, ist stalker-mäßiges Verfolgen auch okay.
Inszenierungen positionieren sich immer irgendwie zu dem inszenierten Stoff – und in sommer.nacht.traum ist diese Positionierung unklar. Auf ein Hinweisen auf problematische Inhalte erfolgt keine Reflektion. Der Film endet mit einer dreifachen Hochzeit. Hippolyta und Theseus, Hermia und Lysander, Helena und Demetrius. Dabei steht Demetrius doch noch unter dem Einfluss des Liebestranks, oder? Und hat Hippolyta nicht zu Anfang noch mit traurigem Blick gesagt „Ich wollte nie heiraten“? Ist das jetzt das Happy End? Das Corona-Crossover, als am Ende alle ihre Masken aufziehen und das Theaterstück über Pyramus und Thisbe per Live-Stream, eröffnet nochmal eine dritte Ebene. Die Figuren sind aufgewacht und in der Realität angekommen. Und die Realität ist Pandemie und Patriarchat, aber dafür mit Blümchen, Sonnenschein und Sekt.