Das Ding mit Federn aus der 4. Dimension

Was, wenn das hoffnungsvolle Federding aus Emily Dickinsons Gedicht plötzlich gar nicht mehr so ermutigend dreinschaut, sondern sich wie bei Max Porter als dunkle und unheimliche Krähe entpuppt, die Fragen nach Trauer und Ungerechtigkeit stellt? Das Stück hoffnung#dasdingmitfedern des Jungen Emsembles des RambaZamba Theaters aus Berlin geht der Frage nach, wie wir in dunklen Zeiten die Hoffnung behalten können, ohne uns am Ende wie Kühlschrankmagneten anzuhören. Eine assoziative Betrachtung.

Das krähenhafte Ding mit Federn in uns

Das Ding mit Federn in uns ist Kanarienvogel und Nebelkrähe zugleich, trägt nur selten ein makelloses Federkleid, sondern ist ständig in der Mauser, oft auch nach Jahren noch nicht flügge und bleibt dem Boden manchmal sogar ganz verbunden wie ein Nandu oder Kiwi. Es kann dunkel bis grau sein, Kapuze tragen und sich lautlos anschleichen, sodass wir sein Krächzen viel zu spät bemerken. Doch nur selten trauen wir uns, dieses metamorphe Federtier in uns auch der Außenwelt in all seinen Facetten und Schattierungen mitzuteilen. Viel zu oft sehen wir nur die Pfauenräder und Prachtgefieder, unter denen die gerupften Daunen beschämt versteckt werden.

Ein Recht auf Trauer

Oft umkreisen wir die schweren Themen wie die beiden Darsteller*innen im Stück in federleichter Fahrt, fast schwebend und mit schwingend Reifrock, statt den beschwerlichen Weg über Hindernisse und Barrieren zu nehmen. Über die eigenen negativen Erfahrungen zu reden, ist auch im Jahr 2022 nicht selbstverständlich. Dabei dachten wir, dass wir mit unseren unzähligen Kommunikationsmöglichkeiten schon weiter wären. Öffentlich über negative Gefühle zu sprechen, wird oft mit Überforderung, mangelnder Professionalität oder emotionaler Übergriffigkeit gleichgesetzt und scheint nur erlaubt, wenn der eigentliche negative Zustand schon hinter einem liegt, sodass die Befreiung daraus als Erfolgsgeschichte verkauft werden kann. Wie kann man sich diesem Glücksdiktat, (wie es die Soziologin Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas nennen) entgegenstellen, ohne in einer Echokammer der Trauer zu landen? hoffnung#dasdingmitfedern erkundet das Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Trauer und plädiert dafür, dass Traurigkeit und negative Emotionen in unserem Leben mehr Platz einnehmen sollten.

Leben in einer Kiste

Wenn der Weg nach außen versperrt ist, sucht sich die Trauer den Weg ins Innere. Sie sperrt uns in eine Kiste, in der wir uns gleichermaßen geschützt und gefangen vorkommen. Strukturen, Wände und Ecken geben Halt und grenzen gleichermaßen ein. Wer sich versteckt, wird auch versteckt. Das RambaZamba-Ensemble macht in seinem Stück deutlich, dass nicht alle dieselben Chancen und Voraussetzungen haben, diese Grenzen wie mit einer Rolle farbigem Tape zu versetzen, die massiven und gläsernen Wände und Decken mit buntem Chaos zu konfrontieren und zu manipulieren. Während die einen Darstellenden reglos in den beengten Quadern verharren, zeigen die anderen, welches Potenzial sich jenseits der einhegenden Starrheit von zugeschriebenen Kategorien und Lebensentwürfen ausleben lässt – ohne dabei zu vergessen, dass die Kiste mit Deckel auch ein Safe Space sein kann, um sich vor den Katastrophen der Welt abzuschotten.

Sichtbarkeit und Sehenwollen

Drehen sich die Kisten, sehen wir, wie die Menschen in ihnen leben. Doch was sehen wir wirklich durch die transparenten Wände? Die Inszenierung entlarvt mit dem Bild eines Museumsrundgangs kunstvoll eine Art Scheinsichtbarkeit, die Menschen aus benachteiligten Gruppen zwar in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt, sie aber trotzdem eher ausstellt, als sie für sich selbst sprechen zu lassen. Dass diese Scheinsichtbarkeit das Ansprechen von wirklich unbequemen Themen oft verhindert, verdeutlicht das Stück durch die zahlreichen Wünsche und Anliegen (vermutlich der Darsteller*innen), die das Stück über eine Off-Stimme präsentiert. Einerseits sind die persönlichen Wünsche präsent, andererseits seltsam unverbunden mit den Personen, die sie vermutlich geäußert haben. Gerade der gelegentliche Bezug auf die Lebensumstände in in der Coronazeit erinnert mich dabei persönlich an Erlebnisse mit Medienvertreter*innen, die während der Pandemie über das inklusive Wohnprojekt berichtet haben, in dem ich selbst seit fast drei Jahren wohne. Selten galt das mediale Interesse in der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung wirklich den negativen Aspekten der Pandemie - etwa dass sich die oft so wichtigen Tagesstrukturen auflösten, weil Einrichtungen sehr lange geschlossen blieben oder nur sehr eingeschränkt arbeiteten; dass der Kontakt zu Freund*innen lange Zeit wenn überhaupt nur digital möglich war, weil Wohnheime strengen Besuchsbeschränkungen unterlagen oder dass ein so komplexes und zugleich unsichtbares und schwer vorstellbares Phänomen wie die Pandemie vielen Menschen einfach große Angst macht. Was die Öffentlichkeit stattdessen durch unsere gläserne Wand beobachten konnte, waren junge Menschen, die den Lockdown für ausgiebige Yoga-Sessions und Kochabende nutzte. Im Stück wird diese eindimensionale Darstellung bewusst gebrochen, indem Platz für schlechte Laune, Trauer und unbequeme Wahrheiten gefordert wird.

Hoffnung heißt Ehrlichkeit

Wer von Hoffnung reden und nicht wie ein Kühlschrankmagnet klingen will, muss sich der inneren Krähe stellen und sich der 4. Dimension, der Dimension der Trauer öffnen. Denn es geht dem Stück nicht nur um die vorübergehenden Zustände, sondern auch um existenzielle Fragen wie dem Leben nach dem Tod, dem Wesen der Seele oder die Existenz eines Himmels. Fragen, die sich nicht mit einfachen Antworten weglächeln lassen, ohne sein Gegenüber nicht ernst zu nehmen. Und so ist reden über Traurigkeit auch Ausdruck von Respekt, Wertschätzung und Empathie, ohne die keine aufrichtige Hoffnung entstehen kann. Für Hoffnung braucht es Ehrlichkeit und keine Beschwichtigung, egal mit wem man redet.