Frustparty mit Wischmopp-Karaoke

Bei der FZ sind wir für flache Hierarchien und community based Rezensionen. Deshalb machen Lara aus der Grafik und Jannika heute gemeinsame Sache. Auf dem Redaktionspodest raunt man sich zu, dass Jannika das Wort Scheiße immer wieder klein schreibt, aber für Lara Scheiße großgeschrieben wird.

J: Hallo Lara, ich hab viele Gedanken zu dem Stück gestern, die teilweise noch sehr unsortiert sind, aber vielleicht schaffen wir es ja, gemeinsam einiges davon zu entwirren. Was war denn dein erster Eindruck vom Stück?

L: Hallo Jannika, ich freu mich auch. Da geht’s mir ganz ähnlich. Als ich aus dem Stück raus kam, hatte ich erst mal ein Gefühl von puh, das war so viel. Sie haben viele Dinge angesprochen, über die ich sonst auch nachdenke. Und die sich immer so viel anfühlen, dass sie mich überfordern. Was war dein erster Eindruck?

J: Mir ging es da sehr ähnlich. Ich habe es so empfunden, dass die Überforderung schon gewollt war. So waren auch die wenigen Requisiten vieles auf einmal – die Wischmopps zum Beispiel waren mal Luftgitarre, mal Taschentuch, mal Mikrofon, mal einfach Wischmopp zum Kotze weg machen. Mich haben auch danach noch die Bilder beschäftigt, die ich aus dem Stück mitnehmen konnte. Letzte Nacht habe ich, glaube ich, von den Eimern geträumt, die ja mit Wasser gefüllt im ansonsten leeren, schwarzen Bühnenraum standen. 

L: Oh haha, und was hast du in deinem Eimer gesehen? Dystopisch zerstörte Landschaften wie die Spieler*innen im Stück? Ich fand es sehr schön, wie die Eimer das verbindende Element zwischen allen drei Teilen der Inszenierung waren. Ansonsten war jedes Drittel des Stücks anders – für jedes sind vier neue Ensemblemitglieder aufgetreten und neue Themen wurden verhandelt. Auch wie sie die Eimer verwendet haben, war jedes Mal neu. Wenn zu Beginn des Stückes ein Eimer ausgeschüttet wurde, kam man dem Ende einen Schritt näher. Im zweiten Teil waren die Eimer erst Raum für persönliche Scheiße, Beschwerden der Ensemblemitglieder, dann für persönliche Wünsche. Und im letzten Teil wurden sie erst mit einem Baseballschläger über die Bühne gekloppt und direkt danach als Schutzschild und Burg verwendet. Diese Kontraste fand ich sehr interessant.

J: Ich schaue in meinen Eimer und sehe: Dystopien, Utopien, Isotopien … Ich mochte, dass die Spieler*innen so effizient und spielerisch mit ihren Requisiten umgegangen sind. Mir fiel es nur manchmal schwer, den Überblick zu behalten: Welches Bild wird eigentlich gerade aufgemacht? Gehört das noch zur vorigen Szene, oder beginnt jetzt wieder etwas ganz Neues? Zum Beispiel hatte ich es so verstanden, dass die zweite Gruppe sich am Ende ihres Teils dagegen entscheidet, die ganze Zeit die Scheiße der Anderen wegzumachen, aber als sie rückwärts vom Publikum weggegangen sind, haben sie doch wieder den Boden gewischt. Nichtsdestotrotz hat das ganze Ensemble immer wieder hinterfragt, wessen Scheiße sie eigentlich gerade wegputzen, wessen Visionen und Utopien sie gerade äußern. Besonders stark fand ich da die letzte Gruppe, weil sie das Publikum auf eine solche Weise mit einbezogen haben, dass man sich gar nicht mehr entziehen konnte. Wir wurden beschimpft und zum Tauschen mit den Schauspieler*innen aufgefordert. Ich habe mich bloßgestellt gefühlt, auf eine Art, bei der man danach sagt: OK, ich weiß wieder ein bisschen mehr, wo ich gerade stehe. Andererseits habe ich mich nicht besonders zum Aktivismus berufen gefühlt. Dazu war es mir ein bisschen zu überspitzt. Ich hatte oft das Gefühl, dass mir Dinge gesagt werden, die ich schon weiß, oder Bilder gezeigt, die ich schon kenne. Dann wieder gab es Momente, in denen sich die Wut, die Angst, die Frustration ehrlich und offen angefühlt haben. Ich hätte mir gewünscht, dass die Spieler*innen sich hier noch mehr Zeit lassen. Manchmal war ich enttäuscht, dass so schnell der nächste Witz, der nächste Bruch kam. 

L: Ich verstehe, was du meinst. Ich fand auch, dass die Frustration, die sie vermittelt haben, sehr echt war. Über das ganze Stück hinweg wurden so viele Probleme angesprochen – Rassismus, White Guilt, Klimakrise, Klassismus, Sexismus – die sich alle intersektional zu einem riesigen, überwältigend-komplexen Netz verspinnen, in dem man sich ratlos und machtlos fühlt. Dieses Gefühl haben sie sehr gut gezeigt. Wie zum Beispiel nach dem Baseball-Schläger-Wutanfall im dritten Teil. Danach dazustehen und nicht zu wissen, was jetzt folgen soll. Wie kann man etwas tun, ohne nur zu reagieren? Wie kann man etwas schaffen? Wie kann man tatsächlich etwas verändern ? Wie kann man Menschen bewegen und wohin eigentlich? Sie haben mit ihrem Stück viele Fragen gestellt, auf die man, wenn man diese Fragen so groß stellt, nur sehr schwer Antworten finden kann. Da hätte ich mir gewünscht, dass sie diese großen Themen nicht alle auf einmal benennen – was dann sehr flüchtig bleibt –, sondern eine stärkere Auseinandersetzung mit einzelnen Konflikten finden.

J: Andererseits denke ich eben auch: Gerade diese Überforderung ist ja das Bezeichnende für eine Generation von Menschen, die in dem Bewusstsein aufwachsen, dass ihre Zukunft scheiße aussieht, ohne, dass sie dafür verantwortlich sind. Also ist es im Kern eine Frage der Verantwortung: Wer übernimmt die eigentlich, wenn alle sagen Ich bin ja überhaupt nicht schuld? Die beeindruckendsten Momente waren für mich, wenn das Ensemble das Publikum aus ihrer passiven Zuschauer*innenrolle herausgerissen hat, wie zu Beginn des zweiten Teils, als das Saallicht anging und man kurz dachte: Ohje, soll das so? Da habe ich mich wie auf dem Präsentierteller gefühlt. Genauso am Ende, als die vier Spieler*innen der letzten Gruppe die Bühne verlassen, ins Publikum gehen und so den Raum öffnen: Bitteschön, ihr seid jetzt verantwortlich, wir können das nicht alleine schaffen. Das hat mich berührt, weil ich gemerkt habe, da öffnet sich ein Raum auf eine provokante, aber ehrliche Art. 

L: Den Moment fand ich auch sehr stark! Dass die Spielenden dann gemeinsam mit dem Publikum in eine Richtung geschaut haben, nach vorne (wo sie ja immer wieder gefragt haben, was da vorne eigentlich ist, oder wie es überhaupt vorwärts gehen soll), auf die Bühne. Das hat die Bühne ganz am Ende des Stückes nochmal zu einem anderen Möglichkeitsraum gemacht. Ich fand auch die Übergänge zwischen den drei Teilen spannend, weil sie jeweils ein Bruch waren und trotzdem versucht haben, einen Zusammenhang herzustellen. Ich habe die Chronologie der drei Teile fast als antiklimaktisch wahrgenommen, weil sie vom ersten bis zum letzten immer konkreter und weniger surreal geworden sind. Was denkst du über die Dreiteilung des Stückes? Das haben wir noch gar nicht besprochen.

J: Mir ging es da ähnlich wie dir. Ich hatte schon das Gefühl, dass es Übergänge gab, aber die wirkten für mich eher wie ein Nachgedanke. Die Teile standen für sich und waren für mich deshalb auch unterschiedlich bewegend. Es wirkte auf mich, als hätten die drei Gruppen mit unterschiedlichen Herangehensweisen an der gleichen Fragestellung gearbeitet. Das hat den Effekt, dass ich mich mit den jeweiligen Teilen mal stärker, mal schwächer verbunden gefühlt habe. Allerdings gab es gezwungenermaßen auch Doppelungen und Wiederholungen, an Stelle derer konkrete Themen kompakter und präziser hätten dargestellt werden können. Kannst du nochmal darauf eingehen, was du mit antiklimaktisch meinst?

L: Im ersten Teil war das Motiv des Untergangs ja besonders präsent und in seiner absurden Unbegreifbarkeit auch in die Spielweise übersetzt. Der Anfang fühlte sich für mich ziemlich surreal an, wie die Spielenden mit ihren crazy Tüllröcken um die geordneten Eimer herumgekrochen sind, ihre Köpfe ins Wasser gesteckt haben … Es war so, als hätten die Spielenden einen Zugang zu einer Ebene, die das Publikum nicht wahrnehmen kann (Wir sehen was, was ihr nicht seht, haben sie ja häufig gesagt). Auch der Einsatz des spritzenden Wassers und der Lichtreflektionen hat diesen leicht surrealen Effekt verstärkt. Der letzte Teil war ein starker Kontrast dazu, weil er sich so real angefühlt hat. Hier konnte das Publikum alles sehen. Es gab zwar Anspielungen auf quasi-fiktionale Superhelden, aber die funktionierten ja mehr als Kostüm. Prägender fand ich da die Vulnerabilität im weißen Unterhemd, auf Eimern im kleinen Kreis hockend und resigniert darüber beratend, was man nun machen könnte. Ganz unbeschönigt der eigenen Realität ausgesetzt. Deswegen meine ich antiklimaktisch auch gar nicht im Sinne von Es wurde weniger intensiv, es wurde nur sehr anders. Vielleicht zugänglicher. Der Teil in der Mitte stand in meiner Wahrnehmung am meisten für sich. Da fällt es mir schwerer, Verbindungen zu den anderen beiden zu ziehen.

J: Wollte ich auch gerade anmerken. Der mittlere Teil hatte viele Slapstick-Momente, war für mich eher ein Ausdruck der maßlosen Frustration über systemische Ungerechtigkeiten, denen man sich so machtlos ausgesetzt fühlt. Der erste und letzte Teil haben fast als Rahmen funktioniert: Es wird jeweils an das Publikum appelliert, auch aktiv zu werden, oder sich wenigstens aktiv Gedanken über mögliche Lösungen zu machen und Wege aus einem diffus ohnmächtigen Gefühl zu finden. Aber zwischendurch braucht man eben auch einfach mal eine Frustparty mit Wischmopp-Karaoke.