Im Nachgang an die Veröffentlichung dieser Rezension wurde viel über die hier besprochene Medea-Inszenierung und ihren Kontext diskutiert. Mit dieser Einführung möchten wir darauf hinweisen, dass wir unsere Rolle als Festivalzeitung darin sehen, auf Dinge hinzuweisen, die uns subjektiv auffallen. Die Intention dieser Rezension ist es nicht, eine junge und ambitionierte Theatergruppe zu entmutigen, sondern die ausbaufähigen Elemente der Inszenierung anzutippen, die wir bemerken – gerade, wenn es sich um Elemente handelt, die uns am Herzen liegen.
Wir finden es wichtig, auf gesellschaftlich relevante Aspekte hinzuweisen. Dabei versuchen wir, jede Inszenierung gleich zu behandeln: Aspekte, die wir kritisieren, sollen Anhaltspunkte für Stellschrauben sein, an denen noch gearbeitet werden kann. Dass wir einzelne Elemente kritisieren, heißt aber nicht, dass wir ein Stück oder seine Darstellung in Gänze ablehnen.
Auf einige weitere Elemente der Inszenierung, wie beispielsweise die Bühnenpräsenz des Ensembles, gehen wir in der zweiten Rezension zum Stück dieser Website ein.
Könnte Medea als erste Feministin verstanden werden? Das versucht der Theaterkurs Heinrich-Mann-Gymnasium Köln in ihrer Aufführung Medea, frei nach Euripides anklingen zu lassen. Jedoch gelingt die Übertragung des historischen Stoffes in die Gegenwart nur teilweise, finden einige Redakteur*innen der FZ.
Im ursprünglichen Dramentext von Euripides ist die Figur der Medea austauschbar. Auf der einen Seite wird ihr zugeschrieben, eine “Naturgewalt”, “Zauberin”, “Heilerin”, “anmutig” zu sein, auf der anderen Seite bezeichnet sie selbst sich als “Schwester”, “Tochter”, “Geliebte” – also Zuschreibungen, die in Abhängigkeit zu ihrem Umfeld und vor allem zu Männerrollen existieren.
Das Ensemble verwendet in seiner Version des Medea-Stoffes Fragmente des Originaltextes und kommentiert diese mit Voice-Over in Form eines Podcasts, dieser Einsatz ist einer der Brückenschläge zur Gegenwart Die Darstellenden hinterfragen die Darstellung der Medea-Figur und stellen sie in Kontrast zum heutigen Frauenbild. Es ist also klar: Die veraltete Vorstellung der Frauenrolle ist der Inszenierung bewusst.
Aber:
Gleich zu Beginn fällt die Binarität auf. Alle männlich gelesenen Personen des Ensembles spielen Jason in schwarzen T-Shirts, alle weiblich gelesenen Personen spielen Medea in weißen T-Shirts. Die Zuteilung der Spieler*innen zu den Gruppen zu vermischen, hätte die inhaltlichen Ausdrucksmöglichkeiten nicht beschränkt. So hat die Inszenierung einen Hauch von Sportunterricht. Mädchen gegen Jungs, die einen tanzen, die anderen kämpfen.
Auch in den Tanzszenen zeigt sich diese binäre Aufspaltung: Choreos werden ausschließlich von weiblich gelesenen Personen getanzt, am Ende wird gesungen – auch nur von den Medea-Darstellenden. Die männlich gelesenen Personen hingegen kämpfen gegen ein Monster (auch von einer männlich gelesenen Person gespielt), um das goldene Vlies zu erobern und verkörpern toxische Männlichkeit, die sich wie folgt zeigt: laute Sprache, aggressives Auftreten, zweideutige Anspielungen und respektolose Aussagen, die Medea zum Sexobjekt degradieren –- “Der würde ich trotzdem geben.” Ist das Ironie? Vielleicht!
Die Handlung allerdings ist auch in der Version des Ensembles um die Handlungen Jasons gestrickt: Er hat die Mission, den Schatz zu stehlen, er erobert dafür Medea, er nimmt sie mit in seine Heimat. Medea bleibt, zu reagieren: Mitzugehen, schweigend Anfeindungen zu ertragen, von Jason mehr Unterstützung fordern, verbannt werden. Ihre große Handlung in der Originalfassung - der Mord an ihren Kindern - wird vom Theaterkurs des Heinrich-Mann-Gymnasiums nicht übernommen. Stattdessen ist der Kindsmord in dieser Fassung nur ein Gerücht, das zum Schaden von Medea verbreitet wird. Damit wirkt die Figur zugänglicher - an Handlungsmacht gewinnt sie dadurch allerdings nicht.
Der Versuch, diese Darstellungen zu brechen, wird in der Szene unternommen, in der das Licht auch im Publikumsraum angeht und die Darsteller*innen ihre vermutlich persönlichen Erfahrungen teilen. Einzelne Spieler*innen stehen auf und sprechen über Erlebnisse, in denen ihnen Diskriminierung widerfahren ist. Dabei wiederholen sie diskriminierende Aussagen. Die Reaktion der männlichen gelesenen Spielenden ist ein Versuch, einfühlsam zu sein, der allerdings auch von der Mitteilung überlagert wird, dass sie es nicht einfach hätten. Beispielsweise wenn es darum geht, Gefühle zu zeigen und ein männliches Idealbild darzustellen. Dass sie ansprechen, dass auch Männer unter den konventionellen Vorstellungen der Geschlechterrollen leiden, ist ein schöner Ansatz, der das Publikum zum Denken anregen soll.. Der Tenor bei den männlich Gelesenen ist “Ich will einfach nur ich sein; als Person, die ich bin, akzeptiert werden“. Bei den weiblich gelesenen Personen setzen die Wünsche auf grundlegender Ebene von “Ich will nicht belästigt werden” an. Dass die Spielenden Schüler*innen sind und sich mit diesem vielschichtigen Stoff auseinandergesetzt haben, zeugt aber von dem Bewusstsein für aktuelle Diskurse, zu den Themen wie Rassismus und Sexismus zählen.
Lobenswert ist, dass die Inszenierung den historischen Stoff für Jugendliche und junge Erwachsene zugänglich macht. Der Inhalt des Medea-Textes wird verhandelt, in einen eigenen Rahmen gesetzt und kontextualisiert Diese Auseinandersetzung ist nicht selbstverständlich. Ganz konsequent umgesetzt scheint das große und wichtige Vorhaben der Inszenierung noch nicht – was aber die Bedeutung des Versuchs nicht schmälert.