“Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare ist großartig. Ein verwickeltes, erstaunliches Stück voller Spielereien, Doppelungen und mit der eigenen Parodie in der scheiternden Inszenierung der Handwerker schon enthalten. Und das Stück ist alt, uraufgeführt vor 424 Jahren.
Das heißt: Es enthält viele Figurenkonstellationen und Aussagen, die heutzutage nicht mehr unserem Bild von Zusammenleben entsprechen. Hippolyta, auch in der Fassung des Ensembles JKKiKmTAGE-H-KGuH-S-SSiZmDLuDG, will Theseus nicht heiraten, er erobert sie aber trotzdem. Egeus will seine Tochter Hermia umbringen lassen, weil sie nicht seinen Heiratsplänen für sie folgen will – und hat zu Anfang des Stücks auch theoretisch das Gesetz auf seiner Seite.
Das Stück bietet mit dem Wald als Ort der Feen und der Zauberei, in dem alles möglich ist, einen Weg heraus aus normativen Festlegungen. Titania verliebt sich in Zettel mit dem Eselskopf, durch den Saft der Zauberblume ist plötzlich nicht mehr so festgelegt, wer wen liebt. Es braucht nur einen kleinen Zaubertrick, und die Regeln und Gesetze der alltäglichen Gesellschaft gelten nicht mehr. Auch am Ende des Sommernachtstraums wird durch die magischen Ereignisse im Wald tatsächlich Theseus dazu bewegt, gegen Egeus‘ Wunsch zu handeln und Hermias Heiratswünschen stattzugeben. Im Originalstück wird also eigentlich die Auflösung von Normen verhandelt. Auch die (im Original alle männlichen) Handwerker, die zusammen ein Stück für die Hochzeit von Hippolyta und Theseus proben, bieten eine Alternative zu den Heterobeziehungen zwischen den anderen Paaren im Stück. Dadurch, dass die tragische Liebesgeschichte von Pyramus und Thisbe nur von Männern aufgeführt wird, ergibt sich die Möglichkeit, queere Liebe zumindest zu thematisieren.
Das könnte eine Einladung an uns heute sein, zu überlegen, welche Zaubertricks wir wollen oder brauchen, welche Regeln wir gerne außer Kraft setzen würden. Leider passiert das im Theaterfilm „sommer.nacht.traum“ überhaupt nicht. Die Figurenkonstellationen werden eher direkt übernommen: Hippolyta schweigt viel (das allerdings mit beeindruckender schauspielerischer Präsenz) und erklärt, dass sie eigentlich nie heiraten, sondern als Amazonenkönigin weiter auf dem Schlachtfeld kämpfen wollte. Wie es ihr damit geht, dass sie am Ende trotzdem Theseus heiratet, wird nicht verhandelt, im Gegenteil: Sie trinkt am Ende lachend Sekt mit den anderen. Die Inszenierung der Geschichte um Pyramus und Thisbe wird allein als Gelegenheit zum Witz benutzt: Haha, ein männlich gelesener Spieler im Kleid und mit hoher Stimme, wie lächerlich.
Unhinterfragt werden auch Sätze wie „Frauen wollen erobert werden“ und Bezeichnungen wie „Tussi“ oder „Schlampe“ verwendet. Eine Kritik daran ist nicht zu erkennen, oder auch nur eine Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen. Passt das wirklich zu den Spielenden?
Am einzelnen Wort, am einzelnen Satz wird diese Frage gestellt, die Wörter werden angeeignet und bearbeitet, neben dem ganz hohen Theatersound der „Liebesheuchelverse“ stehen Formulierungen wie „überall diese Fortpflanzerei, das stinkt“ oder „was, tot? Wie dumm“. Die Geschlechterbeziehungen im Stück und, dass alle Beziehungen hetero sind, bleibt dabei unangetastet.
Einfach im Abspann ein gefühlt dreißigsekündiges Zitat von Carolin Emcke vorzulesen, in dem sie darauf hinweist, dass egal ist, welches Geschlecht man hat und welches man liebt, reicht nicht. Das ist, als würde man die weißen Kostüme der Darsteller*innen in der Waschmaschine waschen, und erwarten, dass alle pink werden, wenn man für die letzte Minute noch eine roten Socke mit in die Trommel wirft.
Gegen fast eine Stunde hyperästhetisch gefilmte Heteronormativität kommt das nicht an. Eigentlich macht es alles nur schlimmer, weil es zeigt, dass ein Unwohlsein da war: Kann man das noch so zeigen? Sollten wirklich diese Geschlechterrollen gezeigt werden? Offenbar war die Antwort: Nein, das kann man heute nicht mehr so zeigen. Die Konsequenz daraus war dann aber nicht, mit der Handlung des Stücks so spielerisch umzugehen wie mit der Sprache, sondern einfach ein kleines Carolin-Emcke-Trostpflaster in den Abspann zu kleben. Das noch dazu so unentschieden nach den ersten Credits abgespult wird, dass es halb im Applaus untergeht.
Auf der einen Seite der Waagschale liegt der komplette Theaterfilm, auf der anderen liegen wenige, in die Schwärze des Abspanns gesprochene Sätze. Die Entscheidung ist also, queere Lebensrealitäten buchstäblich nicht abzubilden, im Dunkel zu lassen, ihnen einmal ganz kurz zuzunicken, während die vermeintlich romantische Geschichte von eroberten Frauen in den tollsten Pastellfarben erstrahlt und aufwendig inszeniert wird. Unfreiwillig ist dieser Film damit die perfekte Metapher für den Kulturbetrieb, wenn es falsch läuft: Groß erzählt werden die Hetero-Geschichten mit „echten Männern“ und zarten Frauen, die seufzen, schweigen oder verrückt vor Liebe sein dürfen.
Bei einem historischen Stoff stellt sich die Frage, warum genau man ihn heute neu aufführen will, warum man historische Geschlechterrollen auf der Bühne oder im Theaterfilm neu verkörpern sollte. Denn so historisch der Stoff ist, so gegenwärtig wird er auf der Bühne. Die entscheidende Frage ist, als was zum Beispiel die überholten Geschlechterrollen präsentiert werden: Als heile Welt? Als Mahnung, wie präsent diese Rollen immer noch in uns sind?
Durch die Ästhetisierung mit verträumten Close-Ups und durchdachter Bildkomposition weckt “sommer.nacht.traum” Sehnsucht nach dem vermeintlich perfekten, schönen Idealzustand. Nicht gezeigt, nicht ästhetisiert, sondern an den Rand und ins Dunkel geschoben werden alle anderen. Die Botschaft, die ankommt: Jaja, wir wissen schon, dass es noch andere Geschichten gibt, aber bitte nervt nicht. Kein Platz für euch im Hauptfilm.Diese Botschaft steckt dabei nicht im Spiel der Ensemblemitglieder, sondern noch davor in der Konzeption des Films und der Art, wie die Vorlage bearbeitet wurde - oder eben nicht. Aber, so toll der Film aussah: Überkommene Geschlechterrollen ohne entschiedene Brechung in Pastelltönen zu zeigen und mit einer (teilweise) Zwangshochzeit zu enden, bei der aber alle lachend über die grüne Wiese hüpfen: Das ist einfach Kitsch.