Mehr als Zuschauen

von Laura

Schon bei den Aufwärmübungen gemeinsam mit dem Publikum wird deutlich, dass in “WIR SIND HIER!” vom Jugendtheater RomaTrial aus Berlin mehr vorausgesetzt wird als das Zuschauen. Das Publikum wird laut unter der Anleitung einer der Darstellerinnen, wird an die eigene Stimme erinnert und dass diese nun zu gebrauchen ist.

Das eigentliche Stück beginnt mit Tanzeinlagen, die in Kontrast zu der Musik stehen, die eher sehr bewegt und geladen ist. Die Darsteller*innen jedoch bewegen sich kontrolliert, scheinen sich durch den Sound nicht aus der Ruhe bringen zu lassen - nur um dann diese Getragenheit wieder zu brechen mit fast schon slapstickhaften, schauspielerischen Einlagen. Es werden alltägliche Szenen von Diskriminierungen dargestellt, es wird der erste Roma-Weltkongress gezeigt und dass beleidigende Fremdbezeichnungen durch „Sinti“ und „Roma“ ersetzt werden. Es wird eine Rede nachgestellt, die bei der Eröffnung des Sinti und Roma-Denkmals in Berlin gehalten wurde - und immer wieder wird gefragt: „Und, was hat es gebracht? - NICHTS“. „Was ist mit Serbien und Mazedonien?“, wird gefragt, als das Denkmal in Berlin eingeweiht wird. Ein Video wird auf einen Bildschirm projiziert, es ist eines dieser Aufklärungsarbeitsvideos, wie man sie aus dem Geschichtsunterricht kennt, die historische Fakten konsumierbar aufbereiten. Der Zwischenruf „wo waren die mutigen Frauen?“ zeigt wieder, dass die Arbeit nicht genug ist, dass symbolische Aufarbeitung und Einbeziehung von offiziellen Stellen bisher nichts gebracht hat, zu wenig von dem tatsächlichen Bild zeigt, nicht weit genug geht.

Nichts verlässt während der Aufführung die Bühne, nichts geht ab oder tritt auf, die Requisiten und DarstellerInnen sind von Aufwärmübung bis Schlussapplaus zu sehen, auch das zeigt „WIR SIND HIER!“. Darin liegt meiner Ansicht nach auch eine große Kraft in diesem Stück und auch in den Darsteller*innen, denn sie zeigen sich, bringen eigene traumatisierende Erfahrungen auf die Bühne, verlangen nach Handlung, fragen nach Ideen, leisten Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Als Betroffene*r diese Arbeit zu leisten, sollte nicht für selbstverständlich gehalten werden. Die Aufbereitung der Informationen in dem Stück ist sehr zugänglich, als Zuschauer*in kann man während der Tanzeinlagen Gesehenes verdauen, bekommt Schweres mit Witzen etwas bekömmlicher gemacht - und das, ohne es zu vereinfachen. Dennoch, es wird dem Publikum mehr abverlangt, als bloß dazusitzen und Theater zu konsumieren: Es gibt keine Handlung, an der sich festgehalten werden könnte, keine Charakterentwicklung, sondern wechselnde Szenen, mal persönlich und biographisch, mal faktual und historisch, mal gefühlvoll und appellativ. Als Zuschauer*in werde ich geführt konfrontiert, und werde herausgefordert, da mir eine ständige Positionierung abverlangt wird: Lache ich, wenn vorgeschlagen wird, die Deutschen abzuschieben? Fühle ich mich unbehaglich? Schäme ich mich, Deutsche*r zu sein?

Besonders gefallen hat mir die Idee mit dem Podest und dem Symbol des Bundesadlers darauf. Wenn eine Rede des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt nachgestellt wird, in der er den Völkermord an Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten anerkennt, steht er auf diesen staatstragenden, aber selbstgebastelt aussehenden Pappkartons. Es ist bezeichnend für den Tonfall der Kritik in diesem Stück, dass auch die Requisiten humorvoll-subtil und doch in aller Klarheit vermitteln: „Ihr stellt euch auf euer eigenes Podest - und was hat es gebracht?“.

Ich stelle mir das auch unfassbar mühsam und anstrengend vor, die eigene Marginalisierung und Betroffenheit immer und immer wieder zu thematisieren, an andere zu appellieren, vermitteln, auch unsensible Kommentare aus dem Publikum aushalten zu müssen und dabei sogar noch souverän zu moderieren.

Woher, frage ich mich, nehmen die Darsteller:innen diese Kraft? Wie schaffen sie es, trotz allem noch Witze zu machen darüber, dass die Deutsche Bahn das Sinti und Roma-Denkmal (buchstäblich) untergraben will, weil sie den Platz leider für Schienen brauchen? Vielleicht ist hier Ironie und Humor genau das, was es als Schutz braucht. Nachdem der Terroranschlag in Hanau dargestellt wurde und die Namen genannt wurden: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov - danach muss weitergespielt werden, es ist ein Theaterstück. Es ist ein „trotzdem“, das hier für mich ständig mitschwingt, ein Weitermachen und Weiterkämpfen.