Nach dem letzten Stück “Medea” von Theaterkurs Heinrich-Mann-Gymnasium Köln (Nordrhein-Westfalen) steht die Redaktion zusammen und faltet die finale Ausgabe der FZ. Da wir aber das letzte Stück nicht unkommentiert lassen wollen, hier unsere kleine Nachtkritik.
Ansgar: Also, wir haben ja eine Inszenierung von “Medea” gesehen, frei nach Euripides. Der antike Stoff wurde mit vielen verschiedenen Ideen aufbereitet: Es gab chorische Szenen, Choreografien und eingespielte Schnipsel eines True-Crime-Podcasts zur Erklärung und historischen Einbettung. Ach, und eine Gameshow und eine Musicalszene. Was kam dabei denn rum?
Farukh: Ich hatte den Eindruck, dass der True-Crime-Podcast einerseits eine Erzählfunktion übernommen hat, um die Story verständlich zu machen, aber auch eine Leichtigkeit erzeugt hat, die manchmal etwas schräg war.
Diana: Ja, schräg war es, als wir die extrem harten Diskriminierungserfahrungen von Medea mitverfolgen konnten, nachdem sie Jason in dessen Heimat gefolgt ist. Der Podcast hat dann von “hartem Mobbing” geredet, das war natürlich eine totale Untertreibung.
Jannika: Ich muss kurz meine Notizen holen! Denn ich habe mir etwas Schlaues aufgeschrieben: Mir ist aufgefallen, dass sie am Ende von Medea als erster Feministin geredet haben. Dabei haben sie aber nicht mit reflektiert, von wem denn das Stück geschrieben wurde: Von einem Mann …
Diana: … der auch noch als Frauenhasser bekannt ist! Aber das ist in der Wissenschaft umstritten. In der heutigen Inszenierung des Theaterkurses wurde ja entschieden, dass Medea ihre Kinder nicht umgebracht hat. Vielmehr war es in dieser Fassung ein böswilliges Gerücht, um Medeas Abschiebung zu rechtfertigen. Das war klug, da so eine Auseinandersetzung mit Xenophobie und Sexismus möglich war, ohne immer den Kindsmord mitzudenken. Damit stellt sich das Ensemble klar auf Medeas Seite und konnte am Ende schreien: “Wir kämpfen für Medea!”– Im Gegensatz zum Anfang, wenn die Piraten noch schreien, dass sie für Jason kämpfen.
Jannika: Würdet ihr sagen, sie haben die Figur dadurch flacher gemacht? Als am Anfang die Frauen* alle Medea waren, die Szene fand ich mega stark. Sie haben verschiedene Aspekte der Medea-Figur beleuchtet: Prinzessin, Zauberin, Naturgewalt.
Ansgar: Flach gemacht hat für mich die Inszenierung das dauernde Auserklären jedes Aspektes. Die feministische Umdeutung wurde bis ins Detail durch den Podcast erklärt, der Bezug zur Realität auch. Das Einzige, was nicht erklärt wurde, war, warum hin und wieder die Titelmelodie des ZDF Magazin Royale eingespielt wurde.
Farukh: Das ist wirklich eine gute Frage.
Diana: Ich fand schon einige Mittel beeindruckend: Durch minimalistische Elemente hat das Ensemble eigentlich kaum auf der Bühne zeigbare Ereignisse wie Seefahrten groß darstellen können: Am Anfang war das Ensemble versteckt unter großen Plastikplanen und hat den Wellengang nachgeahmt, auch akustisch durch das Rauschen.
Dave kräht dazwischen: UND DIREKT AUF DAS PROBLEM VON PLASTIK IM OZEAN HINGEWIESEN!
Diana: Danke, Dave. Der Raub des goldenen Vlieses, um das noch zu sagen, wurde durch ein Kinderspiel dargestellt: Rotes Licht / grünes Licht, wie man es aus der Netflix-Serie Squid Game kennt.
Ansgar: Nochmal zum Spiel und zur Inszenierung der Ensemble…
Dave: Ich hätte mir ein paar ruhigere Elemente gewünscht, aber tolle Energie.
Jannika: Das Ensemble hat gespielt wie ein geöltes Uhrwerk! Die chorischen Passagen waren super synchron.
Farukh: Es gab noch die Stelle, als das Licht im Saal anging und wir Medea für einen Moment komplett verlassen haben und uns den Diskriminierungserfahrungen der Darsteller*innen zugewendet haben. Zuerst ging es um fremdenfeindliche und sexistische Erfahrungen, dann kamen Männer* ohne diese Erfahrungen dran.
Ansgar: Da ging es ja darum, dass auch Männer unter Geschlechterrollen leiden können, weil sie zum Beispiel keine Gefühle zeigen sollen.
Farukh: Das kam für mich aber viel zu kurz, es wurde nur mal angedeutet. Ich fand es auch ein bisschen uneindeutig – sollte das Thema ins Lächerliche gezogen werden und wurde deshalb nur so kurz angedeutet?
Jannika: Da konnte ich keine eindeutige Positionierung erkennen und hatte direkt eine Abwehrhaltung.
Ansgar: Ich finde es auch ein bisschen zu einfach, Männer bei den Klischees Fitnessstudio und Stärke/Schwäche zeigen, abzuholen. Da schienen mir die Auseinandersetzungen der anderen Spielenden sehr viel durchdachter.
Farukh: Noch was Positives zum Schluss: Ästhetisch fand ich es sehr ansprechend! Das Gold, das sich durch die Inszenierung gezogen hat, durch die goldenen Folien im Bühnenbild, hat mit sehr reduzierten Mitteln eine starke Stimmung erzeugt. Die große Zahl von Darsteller*innen hat nie zu viel gewirkt auf der Bühne, sondern hatten eine gute Verbindung zueinander.
Diana: Die Szenen, in denen immer abwechselnd in der großen Gruppe gesprochen wurden, waren sehr genau.
Jannika: Sie haben sehr professionell gewirkt und den Raum sehr gut ausgenutzt. Es war sehr flüssig, das Ensemble hat nie verloren gewirkt.
Ansgar: Danke euch!